Katholische Gegenöffentlichkeit


von Mat­thi­as Staab

Anzei­ge

2001 war es, als in mei­nen Fach­zeit­schrif­ten – und mit Ver­zö­ge­rung auch in der all­ge­mei­nen Pres­se – das Phä­no­men der Web­logs oder Blogs auf­tauch­te: Es soll­te sich dem Ver­neh­men nach um eine simp­le Mög­lich­keit han­deln, Infor­ma­tio­nen aller Art im Inter­net zu publi­zie­ren: Ein­fach zu bedie­nen, für alle sicht­bar, kosten­los, mit einer Vor­be­rei­tungs­zeit von etwa 20 Minuten.

Nach einer Wei­le begann ich sie zu lie­ben, die Web­logs und ihre Autoren, die in ihrem ganz per­sön­li­chen Stil zu selbst­ge­wähl­ten The­men in der ihnen eige­nen Fre­quenz und Aus­führ­lich­keit „poste­ten“. Vie­le der Blogs, die ich damals las, gibt es nicht mehr, aber eini­ge davon liste ich immer noch auf mei­ner Blogroll, der Blog­li­ste in mei­nem eige­nen Blog. Fast alle kamen sie damals aus den USA, min­de­stens die katho­li­schen und christlichen.

Es dau­er­te noch ein paar Mona­te, bis ich mich an einem ruhi­gen Som­mer­abend im Juli 2002 bei Blog­ger, einer kosten­lo­sen Web­log­platt­form, regi­strier­te und mei­nen ersten Ein­trag, ein soge­nann­tes „Posting“ schrieb:

27. Juli 2002

„Unse­re letz­te Hoff­nung gilt der Unge­rech­tig­keit Got­tes.“ (Gomez Davila: Ein­sam­kei­ten, S. 12)

Ja, wenn wir ganz ehr­lich sind vor uns – und das soll­ten wir bes­ser sein, denn unter den Augen Got­tes bleibt uns nicht ande­res übrig -, dann müs­sen wir uns ein­ge­ste­hen, daß wir vor IHM eben nicht auf Ver­dienst, Pro­fil, Cha­rak­ter, Lei­stung bau­en kön­nen. Und daß auch unser guter Wil­le nicht genügt.

Ein Gedan­ke – nein: eine Ein­sicht, die mich schon lan­ge beglei­tet: Wie ist es, wenn wir wirk­lich ernst machen könnten/​würden mit der Wirk­lich­keit, daß Gott uns jetzt, in die­sem Augen­blick, jeden Augen­blick sieht? (Kier­ke­gaard nennt das „Redu­pli­ka­ti­on“, glau­be ich.).

War­um, so dach­te ich mir damals, Zeit und Auf­wand in den Auf­bau eige­ner Web­sei­ten stecken, wenn es hier eine so fle­xi­ble Tech­no­lo­gie gab, mit der ich im Web prä­sent sein konn­te? Es war und der Tage­buch­stil, der mich beson­ders reiz­te und immer noch reizt, der inhalt­lich offen und for­mal fle­xi­bel zum kom­pak­ten Schrei­ben einlädt.

Kei­ner schreibt nur für sich, auch der pri­va­te­ste Blog­ger nicht, auch er hat ein ima­gi­nier­tes oder rea­les, für ihn unsicht­ba­res vir­tu­el­les Publi­kum. Auch mei­ne Leser­schaft wur­de bald real und lud mich per E‑Mail ein, doch regel­mä­ßi­ger zu schrei­ben, wenn ich gele­sen wer­den wol­le. Es waren die Zei­ten, als man die Blogs, die man regel­mä­ßig las, eigens auf­ru­fen muß­te und sich noch nicht mit Hil­fe von Feed­rea­dern über neue Ein­trä­ge infor­mie­ren las­sen konn­te: Wie depri­mie­rend, wenn es dann nichts Neu­es zu Lesen gab!
Gibt es eine Blogozese?
Das Web ist rie­sig, aber mei­stens fin­det man sich doch: Außer dem mei­nen gab es damals noch zwei ande­re Web­logs mit dezi­diert katho­li­schem Pro­fil; eines davon, der „Fono­log“ ist immer noch quick­le­ben­dig. Ein gutes Jahr spä­ter waren wir zu sechst, Lai­en alle­samt, fünf Män­ner, eine Frau, zwi­schen 20 und 60. Von den haupt­amt­li­chen oder beruf­li­chen Ver­kün­dern der guten Bot­schaft blogg­te lan­ge kei­ner, bis sich nach und nach Theo­lo­gie­stu­den­ten, Kaplä­ne und ein paar Ordens­leu­te zu uns gesellten.

In den USA war es anders: In der St. Blog’s Parish, einem Ver­zeich­nis katho­li­scher Web­logs dürf­te es 2002/​2003 ca. 200 ein­ge­tra­ge­ne Gemein­de­mit­glie­der gege­ben haben. Kom­men­tar­schlach­ten mit bis zu 40, 50 Kom­men­ta­ren pro Ein­trag waren schon damals nichts Seltenes.

Im deutsch­spra­chi­gen Raum blieb es beim lang­sa­men Wachs­tum: Jetzt, Anfang 2007 dürf­te es etwa 30 – 40 akti­ve katho­li­sche Web­logs in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz geben, dazu eini­ge Satel­li­ten, die nur ab und an aus ihrer katho­li­schen Per­spek­ti­ve oder zu katho­li­schen The­men schreiben.

In einer solch klei­nen Grup­pe lernt man sich über die Jah­re gut ken­nen und meist auch schät­zen. New­co­mer wer­den in der Regel begrüßt, in Postings ver­linkt und in die Blogroll auf­ge­nom­men. Blog­ger mit ähn­li­chen Inter­es­sen und Posi­tio­nen tun sich gele­gent­lich zu Grup­pen­blogs zusam­men (Kir­chen­schwin­den, ccb) – und wer einen ande­ren nicht rie­chen mag, kann ihn unge­straft igno­rie­ren. Weil aber blog­gen­de Chri­sten nicht bes­ser sind als nicht-blog­gen­de, kam es hin und wie­der zu hef­tig auf­flackern­den Dis­kus­sio­nen, so genann­ten Fla­me Wars – nicht gera­de ein Ruh­mes­stück, auch wenn am Ende ein gemein­sa­mer Tag der Buße aus­ge­ru­fen wurde.

In einem eher selbst­iro­ni­schen Kon­text, wie er im Web und unter Blog­gern nicht unüb­lich ist, kam Mit­te 2005 die Selbst­be­zeich­nung „Blogo­zese“ auf, ohne je eine ernst­haft Defi­ni­ti­on zu erhal­ten: Daher gibt es auch kei­ne Mit­glied­schaft und kei­nen Aus­schluß, kei­ne Agen­da und kei­ne Ver­hal­tens­re­geln – und jeder Blog­ger ist letzt­lich – vor Gott, Kir­che und Welt – selbst ver­ant­wort­lich für das, was er schreibt und was er nicht schreibt.

Sie sind fast ausnahmslos spirituell, kirchlich, papsttreu, konzilsgeprägt, traditionalistisch

Wer die deut­schen Katho­li­ken kennt, wird über die Mei­nungs­ver­tei­lung über den katho­li­schen Blog­gern erst ein­mal erstaunt sein: Sie sind fast aus­nahms­los spi­ri­tu­ell, kirch­lich, papst­treu, kon­zils­ge­prägt, tra­di­tio­na­li­stisch, lit­ur­gie­lie­bend, mehr oder weni­ger lati­no­phil, gehö­ren zur Gene­ra­ti­on JPII, zu geist­li­chen Gemein­schaf­ten und Orden, – aber sie sind nur aus­nahms­wei­se links- oder libe­ral­ka­tho­lisch. Nicht alle bezie­hen kir­chen­po­li­ti­sche Posi­ti­on – aber aus­nahms­los, wür­de ich sagen, lie­ben sie die Kir­che, zu der sie gehö­ren, und freu­en sich dazu zu gehö­ren. Typisch ist das nicht, wenn man die Rea­li­tät deut­scher Pfarr­ge­mein­den dage­gen hält.

Wor­an das lie­gen mag? Viel­leicht sind Blogs ein bevor­zug­tes Medi­um derer, die sich in der Luft katho­li­scher Stamm­ti­sche und Gre­mi­en nicht wohl und daheim füh­len. Eine Gegen­öf­fent­lich­keit zur vor­herr­schen­den Mei­nung zu schaf­fen – das könn­te wie für vie­le ande­re Blog­ger auch für die Blogo­zese ein Motiv sein. Und tat­säch­lich läßt sich durch­aus ein gewis­ses mis­sio­na­ri­sches Bewußt­sein fest­stel­len: Jeder hat sei­ne Lieb­lings­the­men, bei denen er in die Are­na springt. Das kann die haus­ge­mach­te Lit­ur­gie in vie­len Pfarr­ge­mein­den sein, die Fami­li­en­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung – oder die neue­ste Tor­heit des Spiegel.

Nun darf man Blogs auch nicht wie eine Zei­tung lesen, die ja doch immer den Anspruch erhebt, immer aktu­ell und eini­ger­ma­ßen voll­stän­dig zu berich­ten. Sie sind fast immer deut­lich sub­jek­tiv in ihrer The­men­aus­wahl, in ihrem Mut zur Lücke und zur expo­nier­ten Mei­nung. Aber gera­de in die­ser Sub­jek­ti­vi­tät liegt ihr Reiz: Denn gera­de die unge­wohn­te Per­spek­ti­ve eines ande­ren, der man über die Zeit hin folgt, berei­chert die eige­ne Wahr­neh­mung unge­heu­er. Nicht nur weil die Blogo­zese immer wie­der Fak­ten, Tex­te, Ereig­nis­se, Beob­ach­tun­gen hoch­spült, die einem sonst ent­gan­gen wären, son­dern weil die Blog­ger auch so schrei­ben, daß das Lesen Spaß macht: punkt­ge­nau, durch­aus auch über­scharf und ärger­lich, aber meist mit einem guten Schuß Selbst­iro­nie und – ich wage es zu sagen: – gott­ge­schenk­ten Lächelns über mensch­li­che Torheiten.
Blog­gers Selbst­er­kennt­nis – aus mei­nem Blog unter dem Datum 2.11.2005

Grund­sätz­lich gilt für das Blog­gen wie für alle ande­ren Tätig­kei­ten, daß wir sie eigent­lich „redu­pli­zie­ren“ soll­ten. Das gelingt mir weder hier noch sonst dau­ernd oder regel­mä­ßig – hin und wie­der viel­leicht. Blog­gen sub spe­cie aeter­ni­ta­tis – wäre not­wen­dig, aber ich schaf­fe es nicht. Soll ich daher ganz die Fin­ger davon las­sen? Der Unter­schied zu ande­ren Momen­ten, in denen mir die Redu­pli­ka­ti­on nicht gelun­gen ist: sie gera­ten in Ver­ges­sen­heit. Die größ­te Bla­ma­ge vor ande­ren ver­blaßt, ver­än­dert sich in der Erin­ne­rung der Augen­zeu­gen. Nicht so beim Blog­gen. Was ich vor drei­ein­halb Jah­ren schrieb, ist heu­te noch so les­bar wie damals – obwohl ich es inzwi­schen anders sehe oder anders sagen wür­de. „Alles, was Sie schrei­ben, kann gegen Sie ver­wen­det werden.“

„Mei­ne Sün­de steht mir immer vor Augen“, psal­miert der Blogger.

Soll­ten nur Hart­ge­sot­te­ne blog­gen – sol­che mit dickem Fell und fre­cher Zun­ge? Es erleich­tert die Sache unge­mein. Wich­ti­ger ist für mich aber: Genau wie im rich­ti­gen Leben begeg­nen mir und mei­nem Blog vie­le Leu­te, denen ich unsym­pa­thisch bin, die nichts mit mir anfan­gen kön­nen, denen bei Sci­pio jede Men­ge Schimpf­wör­ter ein­fal­len. Nun denn, den­ke ich mir: So wie wir uns drau­ßen aus dem Weg gehen, so kön­nen wir das auch im Netz tun. Ich zwin­ge nie­man­den, mei­ne Sei­ten anzu­klicken; wer sich daher über mein Geschreib­sel auf­regt, kann ger­ne mit die­ser unge­sun­den Übung wei­ter­ma­chen, aber auch für mei­ne Bekeh­rung (zu was auch immer) beten oder sei­ner eige­nen Wege gehen. Auch gut – es reicht schon, wenn wir im Him­mel (oder vor­her im Pur­ga­to­ri­um) neben­ein­an­der sit­zen wer­den und uns die Augen aus dem Kopf fal­len: „Was, Du bist XY, den ich damals in mei­nem Posting so ange­macht habe.“ – „Mensch, jetzt sehe ich Dich so, wie ER Dich damals schon sah…“

Wer bloggt, wenn’s bloggt? Bin ich es, oder ein Teil von mir? – Sicher kön­nen gute (und schlech­te) Psy­cho­lo­gen aus den über 2.000 Postings eine gan­ze Men­ge her­aus­le­sen, was ich nie bewußt sagen oder was ich gar bewußt ver­schwei­gen woll­te. Das ist eines unse­rer Berufs­ri­si­ken. Auf jeden Fall schwei­ge ich bewußt über einen gro­ßen Teil mei­ner Exi­stenz: mei­ne Ehe, mei­ne Fami­lie, mei­nen Beruf, mei­ne ehren­amt­li­chen Tätig­kei­ten, auch über mein Leben vor GOtt. Das, was ich davon schrei­be, wur­de vor­her gefil­tert und ver­än­dert, publi­zier­bar gemacht, geschönt, ent­schärft, zuge­spitzt. Es steht kon­den­siert und iso­liert da – bereit, miß­ver­stan­den zu werden.

Nur gele­gent­lich habe ich das Gefühl, etwas genau so geschrie­ben zu haben, wie ich es „mei­ne“. Mei­stens taucht eine neue Fär­bung auf, ein Anklang ist ver­schwun­den, neue Asso­zia­tio­nen haben sich wäh­rend des Schrei­bens breit gemacht und drän­gen zu einer bestimm­ten Anspielung.

Voll­stän­dig­keit ist kei­ne der Eigen­schaf­ten die­ses Blogs, habe ich letzt­hin geschrie­ben. Zu man­chem habe ich kei­ne Mei­nung; ande­res haben zwei ande­re Blog­ger schon gepo­stet; ein ande­res Mal fehlt mir die Zeit bzw. ihre Unter­form, die „real time“; auf einem Auge bin ich blind, und auf dem ande­ren kurz­sich­tig. Suboptimal. 

Erfolgs­er­leb­nis­se:

  • Ein E‑Mail von Lesern zu bekom­men, die sel­ber „etwas drauf haben“ und zu denen sich über Brief- und per­sön­li­chen Kon­takt sogar Freund­schaf­ten entwickeln;
  • zur Blogo­zese zu gehö­ren, die zwar kei­ne wohn­ort­be­ding­te Schick­sals­ge­mein­schaft ist wie mei­ne Hei­mat­pfar­rei, son­dern ein loser, ganz loser Un-Ver­bund von Indi­vi­du­en, die mit dem sel­ben Medi­um aus ihrer christlichen/​katholischen Sicht ihr Leben und unse­re gemein­sa­me Welt wahr­neh­men und beschrei­ben – jeder in sei­ner Spra­che und sei­nem Stil, aber auf der glei­chen Basis des uns geschenk­ten Glaubens;
  • von Ver­wand­ten, Freun­den und Bekann­ten aus dem wirk­li­chen, nicht-vir­tu­el­len Leben gelobt zu werden.

Erfolgs­er­leb­nis­se, die ein christ­li­cher Blog­ger nicht ger­ne zugibt: stei­gen­de Zugriffs­zah­len, vie­le Kom­men­ta­re, Ver­lin­kun­gen, Lob in frem­den Blogs, Aus­zeich­nun­gen. Ich ver­su­che, all das zu neh­men – wenn’s mir gelingt – wie die Gro­ße Hei­li­ge Tere­sa: „Wenn Trut­hahn, dann Trut­hahn; wenn Fasten, dann Fasten.“

Am mei­sten ich selbst bin ich nicht beim Blog­gen, son­dern vor Gott: also im Gebet, im Got­tes­dienst. Und wenn ich zum Näch­sten ande­rer werde.

Mit Zit­tern und Zagen hat X. vor ein paar Tagen das Blog­gen begon­nen. Die­ser Zustand kann wie­der­keh­ren – oder gar nicht erst ver­ge­hen. Er wird auf­ge­wo­gen, wenn wir ab und an mit unse­ren Wor­ten die Wahr­heit berüh­ren – oder gar eine See­le. Sola gra­tia. „Alles ist Gna­de.“ (Geor­ges Bernanos)

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