von Michaela Koller
Die derzeitige Papstreise in die Türkei wird gerade auch im Hinblick auf den christlich-islamischen Dialog mit Spannung beobachtet, ist es doch schon im Vorfeld zu Demonstrationen gegen den Besuch Benedikts XVI. gekommen. Bischof Luigi Padovese, als Apostolischer Vikar von Anatolien einer der einladenden Bischöfe, sagte im Oktober bei einem Berlinbesuch: »Die Presse hat nach der Regensburger Rede des Papstes sehr negativ berichtet. Es wird eine sehr schwierige, aber zugleich sehr wichtige Reise.« Der Papst sei schon seit geraumer Zeit auf den Dialog mit dem Islam vorbereitet. »Als er seine Schüler im vorigen Jahr nach Castel Gandolfo eingeladen hatte, haben sie sich zusammen mit dem Islam beschäftigt. Und bei meinem letzten Besuch bei ihm lag ein Buch über den Islam auf seinem Schreibtisch.«
Der katholische Dialog mit dem Islam dürfte dem Papst allerdings bereits von dessen Ursprüngen her vertraut sein: Die Quelle des bereits seit Jahrzehnten bestehenden interreligiösen Gesprächs ist die Konzilserklärung »Nostra aetate« (in unserer Zeit) über das »Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen«, die Papst Paul VI. am 28. Oktober 1965 promulgierte. Joseph Ratzinger war während des II. Vatikanums Berater des Kölner Kardinals Josef Frings, einer derjenigen, die sich für die Erklärung stark machten. Zunächst war eigentlich nur ein Dokument zur Verurteilung des Antisemitismus und antijudaistischer Vorurteile von Christen geplant. Ein erster Entwurf lag noch während des Pontifikats Johannes XXIII., am 2. Dezember 1961, vor. Krasse Polemik und Drohungen aus den arabischen Staaten begleiteten von da an das Konzil. Eine syrische Zeitschrift warf den Konzilsvätern vor, Christus zum zweiten Mal ans Kreuz geschlagen zu haben. In vorsichtige diplomatische Worte verpackt, drohte die Arabische Liga Ende November 1964, vertreten durch den damaligen libanesischen Präsidenten Charles Helou, mit Diskriminierung von christlichen Minderheiten in den mehrheitlich islamischen Staaten.
Aus taktischen Erwägungen hatten die Konzilsväter zu dem Zeitpunkt bereits Ausführungen über andere nichtchristliche Religionen eingeschoben, auch über den Islam. Als »eines der Zeugnisse aufrichtiger Großherzigkeit des Konzils« bezeichneten daher die Theologen Karl Rahner und Herbert Vorgrimler den an die Muslime gerichteten Abschnitt. Die Erklärung »Nostra aetate« besagt im Kern, die Kirche habe Respekt vor den Anhängern anderer Religionen, da diese nach Antworten auf die ungelösten »Rätsel des menschlichen Daseins« suchten und in ihrem jeweiligen Glauben »nicht selten« ein Strahl von Wahrheit enthalten sei. Vor dieser Erklärung war die Distanz zum Islam noch größer: Als Pius XI. im Jahr 1936 das Christkönigsfest einführte, hieß es noch im dazugehörigen Gebet. »Sei Du auch Herr über jene, die immer noch vom alten Wahn des Heidentums oder des Islam umfangen sind. Entreiße sie der Finsternis und führe sie alle zum Lichte und Reiche Gottes.« Bereits vor dem Konzil wurde dieser Satz aus dem Meßbuch gestrichen und »Nostra aetate« brachte dann die Wende.
Dabei darf nicht vergessen werden, daß Kirchenpolitik auch immer ein wenig Diplomatie ist, ein Feld, auf dem sich für den Vatikan seit Beginn des 20. Jahrhunderts immens viel getan hat: Waren unter Leo XIII. noch vier Staaten beim Heiligen Stuhl vertreten, so gab es unter Paul VI., nach Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils, bereits 87 diplomatische Vertreter beim Vatikan und zum Ende des 20. Jahrhunderts waren es derer schon 165. Inzwischen pflegt der Heilige Stuhl mit den meisten muslimischen Staaten diplomatische Beziehungen, darunter natürlich mit der Türkei, aber auch mit dem Iran, Irak, sowie Algerien und Libyen, zu Letzterem seit 1997. Um Religionsfreiheit für Katholiken und andere Christen durchzusetzen, finden sich Vatikandiplomaten oftmals in der Rolle von Befürwortern laizistischer Modelle wieder, was auch auf innerkirchliche Vorgänge zurückwirkt. Ein muslimisches Land, das den Vatikan noch nicht diplomatisch anerkannt hat, ist Saudi-Arabien. Dort muß die Kirche äußerst sensibel vorgehen, um überhaupt Seelsorge möglich zu machen. Der Apostolische Vikar von Arabien, Bischof Paul Hinder, der auch für das Wüstenkönigtum zuständig ist, sagte auf die Frage, ob er dort überhaupt einreisen könne: »Darauf will ich keine Antwort geben. Ich kann nur sagen, daß ich mit den Christen in Saudi-Arabien in Kontakt bin.« Jede nichtmuslimische Religionsausübung werde dort von einer eigenen Religionspolizei brutal verfolgt. »Wenn man unsere Gemeinden dort anschaut, könnte man meinen, es handle sich um eine Kirche, in der das Christentum auf Sparflamme gelebt wird.« Erst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen läßt sich überhaupt über eine Besserung der Situation reden.
Der aktivste Diplomat unter den Päpsten der 20. Jahrhunderts, Papst Johannes Paul II., hat sich während seines langen Pontifikats oft auf das Konzilsdokument »Nostra aetate« berufen, in Schreiben und in Begegnungen mit anderen Religionsvertretern. Bei einem Treffen mit Muslimen in Marokko im August 1985 machte Johannes Paul II. die wesentlichen theologischen Unterschiede zwischen Christentum und Islam deutlich und mahnte gegenseitige Toleranz an. Am 6. Mai 2001 in Damaskus betrat mit ihm zum ersten Mal ein Papst eine Moschee. Dort warnte er: »Gewalt zerstört das Abbild des Schöpfers in seinen Geschöpfen und sollte nie als Ergebnis religiöser Überzeugung angesehen werden.«
Das Thema Gewalt spielt seither immer öfter eine Rolle im Dialog zwischen Christen und Muslimen. Gerade jüngst, nach der Regensburger Rede Papst Benedikts XVI., wollen viele Christen das brisante Thema nicht mehr höflich aussparen. »Der Dialog mit dem Islam steht vor einem Kurswechsel«, sagte Peter Hünseler, Islamexperte der Deutschen Bischofskonferenz. »Jetzt geht der gleiche Ruck durch kirchliche Kreise, wie auf politischer Ebene, als der Regisseur Theo van Gogh ermordet wurde. Nun wird Tacheles geredet.« »Allzu lange« hätten Christen die unangenehme Frage ausgespart, wie es das islamische Gegenüber mit der Gewalt halte, gestand er ein. Hünseler ist Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) der Deutschen Bischofskonferenz, einer der Orte, wo Gespräche zwischen den beiden großen Religionen in Deutschland zustande kommen, über Vorstellungen von Politik, Gesellschaft und Religion.
Auf internationaler Ebene hat sich die Laienbewegung Sant’Egidio um den interreligiösen Dialog verdient gemacht. Inspiriert durch das Gebetstreffen, zu dem Papst Johannes Paul II. Vertreter anderer Religionen im Oktober 1986 nach Assisi eingeladen hatte, führt die Gemeinschaft alljährlich Geistliche unterschiedlichen Glaubens zu gemeinsamer Diskussion und gleichzeitigem Gebet zusammen. Die Pressesprecherin von Sant’ Egidio in Deutschland, Susanne Bühl, merkte nach der Rede in der Regensburger Uni nichts von einem Kurswechsel. »Aber es war viel Gesprächsbedarf da.« Ihre Kontakte in die muslimische Welt hat die Gemeinschaft über zwei Jahrzehnte hindurch aufgebaut. »In den Jahren ist Vertrauen entstanden« sagte Bühl. Bei den Gesprächsforen sprechen Teilnehmer schon lange offen Problematisches an, so etwa die schwierige Situation christlicher Minderheiten im Islam. Zu ihren Kontakten zählt auch einer der 38 muslimischen Theologen, die jüngst auf die Papstrede hin dem katholischen Oberhaupt antworteten. Die Unterzeichner stellen darin unter anderem die friedlichen Gebote ihrer Religionsgemeinschaft heraus, »Ringen auf dem Wege zu Gott« anstatt »Heiliger Krieg«. Sie legen sich damit auf eine Interpretation des Koran fest, die muslimische Gewalttäter nicht mit ihnen teilen. Wo letztlich die Mehrheit steht, kann sich erst zeigen, wenn dieses Dokument möglichst weit verbreitet wird. Die Türkeireise des Papstes wird nun eine Gelegenheit sein, live vor den Kameras der Weltöffentlichkeit davon zu sprechen und darauf zu antworten.