»Seien Sie objektiv« – Appell aus Afrika gegen westliche Vorurteile über Aids


von Michae­la Koller

Anzei­ge

»Papst Johan­nes Paul II. war mit­schul­dig an der schlim­men Aus­brei­tung von Aids in Afri­ka.« Die­ser Satz ist oft zu hören, gera­de am sprich­wört­li­chen deut­schen Stamm­tisch. Er ent­hält eigent­lich meh­re­re Behaup­tun­gen. Die Erste: Spe­zi­ell päpst­li­che Ver­laut­ba­run­gen haben so viel Ein­fluß in Afri­ka, daß sich eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit zum Teil danach rich­tet. Die Zwei­te: Dabei beach­ten Afri­ka­ner in der Regel nur den Teil, der ihnen auch wirk­lich scha­det, näm­lich den Ver­zicht aufs Kon­dom, wäh­rend die Pro­mis­kui­tät wei­ter­geht. Dar­aus folgt die Drit­te, daß Afri­ka­ner sich nicht zurück­hal­ten könn­ten. »Afri­ka­ner schnack­seln halt ger­ne«, wie Für­stin Glo­ria von Thurn und Taxis in einer Fern­seh-Talk­run­de vor eini­gen Jah­ren zum Besten gab. Geht man den drei Behaup­tun­gen nach, ent­larvt sich Letz­te­re selbst, da sie ste­reo­typ bis ras­si­stisch ist.

Katho­li­scher Bevöl­ke­rungs­an­teil ungleich Aidsrate

Wie es mit dem Ein­fluß der katho­li­schen Kir­che gene­rell aus­sieht, ist ein­fach den Zah­len des katho­li­schen Bevöl­ke­rungs­an­teils zu ent­neh­men. Vier Län­der, deren Aids­ra­ten sich sehr von­ein­an­der unter­schei­den, sei­en hier als Bei­spie­le genannt: Bots­wa­na mit 4,78 Pro­zent und Süd­afri­ka mit sechs Pro­zent Katho­li­ken, Mala­wi hin­ge­gen mit 21,76 und Ugan­da gar mit 42,28 Pro­zent von Bür­gern katho­li­schen Glau­bens. In der Logik der Stamm­tisch-Sprü­che­klop­fer müß­te die Durch­seu­chungs­ra­te in Ugan­da merk­lich höher sein als etwa in Bots­wa­na. Für vie­le über­ra­schend, ist häu­fig das Gegen­teil der Fall und damit ist die erste Behaup­tung wider­leg­bar: In Bots­wa­na sind 24,1 und in Süd­afri­ka 18,8 Pro­zent der Bevöl­ke­rung mit dem töd­li­chen Virus infi­ziert, wäh­rend es in Ugan­da ganz anders aus­sieht: In den frü­hen 90er Jah­ren waren dort noch rund 15 Pro­zent der Men­schen zwi­schen 15 und 49 Jah­ren HIV-posi­tiv. Die Durch­seu­chungs­ra­te ist nun aber auf sechs Pro­zent gesun­ken. Die Regie­rung in Kam­pa­la setzt auf das ABC: das A heißt Absti­nence, also Ent­halt­sam­keit, B steht für Be faithful, Sei treu, und C für Con­dom, Kondom.

Schutz mit Kon­do­men fragwürdig

Der katho­li­sche Erz­bi­schof Paul Baky­en­ga aus Mbara­ra in Ugan­da, der selbst zwei Aids­wai­sen erzieht, unter­stützt die­se Poli­tik. Bei einem Deutsch­land­be­such im Okto­ber auf Ein­la­dung des katho­li­schen Hilfs­werks Mis­sio, sag­te der 62-Jäh­ri­ge mit fester Stim­me: »Es müß­te eigent­lich ABCD lau­ten, D steht dann für Death, Tod. Nicht nur die Kir­che, nicht nur die Regie­rung, jeder ver­nünf­ti­ge Mensch bei uns ver­tritt die­se Hal­tung. Wir haben gese­hen, daß Kon­do­me nicht das Ver­hal­ten ver­än­dern und wir haben gese­hen, daß sie nicht sicher sind. Man kann nicht sei­ne gesam­te Zukunft der Tech­nik anver­trau­en. Die Kon­do­me haben bei Ihnen in Euro­pa nicht die Abtrei­bung gestoppt und bei uns nicht Aids.« Den Mei­nungs­ma­chern in Euro­pa riet er in die­sem Zusam­men­hang drin­gend, objek­tiv und ein­deu­tig zu sein. »Sie müs­sen auch fra­gen, was die eigent­li­che Moti­va­ti­on derer ist, die aus­schließ­lich Kon­do­me als Lösung emp­feh­len. Die afri­ka­ni­schen Län­der müs­sen sie immer noch gegen Devi­sen impor­tie­ren«, fuhr er fort. Der Schutz durch Kon­do­me ist in der Tat frag­wür­dig, und dies nicht, weil es ein katho­li­scher Bischof so sieht. So gibt die deut­sche Fami­li­en- und Sexu­al­be­ra­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on Pro Fami­lia auf ihrer Home­page für das Kon­dom einen soge­nann­ten Pearl-Index von zwei bis zwölf Pro­zent an. Dem­nach wer­den zwei bis zwölf Frau­en, die ein Jahr lang mit ihrem Part­ner aus­schließ­lich das Kon­dom zur Ver­hü­tung nut­zen, schwan­ger, obwohl Frau­en bekannt­lich maxi­mal ein paar Stun­den im Monat emp­fäng­nis­be­reit sind. Das töd­li­che HIV-Virus kön­nen sie aber immer bekom­men oder wei­ter geben, je nach­dem. Pro Fami­lia ist Mit­glied der Inter­na­tio­nal Plan­ned Paren­thood Fede­ra­ti­on, die ihre Aids­auf­klä­rung aus­schließ­lich auf die Emp­feh­lung von Kon­do­men stützt. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang auch, daß in Bots­wa­na der Kon­dom­ab­satz steigt, aber zugleich auch die Aids­ra­te. Katho­li­sche Per­sön­lich­kei­ten wie Erz­bi­schof Baky­en­ga, die vor Ort mit den Men­schen arbei­ten, sehen des­halb das Kon­dom »als klei­ne­res Übel« an. Sie wol­len so Men­schen errei­chen, die trotz aller Appel­le zwi­schen ihrem Sexu­al­ver­hal­ten und der Ansteckung mit dem Virus kei­nen Zusam­men­hang erken­nen wol­len. Sie spre­chen offen über Kon­do­me, klä­ren dar­über umfas­send auf, in medi­zi­ni­scher wie auch in ethi­scher Hin­sicht. »Unse­re Auf­ga­be ist es, Men­schen zu ver­ant­wort­li­chem Han­deln zu erzie­hen. Das ist unse­re Haupt­auf­ga­be«, sag­te Erz­bi­schof Baky­en­ga. Offen­bar hat die Kir­che mit ihren Auf­ru­fen, zum Schutz vor Aids das Ver­hal­ten zu ändern, Erfolg. Der Staat, der ihre Poli­tik auch auf­ge­grif­fen, hat trägt wesent­lich dazu bei. Und die ein­gangs erwähn­te gegen­tei­li­ge Behaup­tung ist damit wider­legt: Wie über­all in der Welt ver­än­dern auch die Men­schen in Afri­ka zuwei­len ihre Gewohn­hei­ten aus Ein­sicht in Notwendigkeiten.

Offen­heit als Schutz

»Es ist vor allem die Offen­heit, mit der bei uns mit der Krank­heit umge­gan­gen wird. Jeder, der so eine rote Schlei­fe als Ansteck­na­del trägt wie ich, zeigt damit, daß er bereit ist, über das The­ma zu reden. Wir haben in Ugan­da eine gro­ße Dau­er-Kam­pa­gne, daß sich jeder auf das HI-Virus testen und bera­ten las­sen kann. Es hän­gen dazu Pla­ka­te auf der Stra­ße. Wir haben 100 Radio­sta­tio­nen, die dar­über Sen­dun­gen brin­gen. Künst­ler tre­ten dazu auf, Musi­ker schrei­ben Lie­der.« Bei jeder Zeug­nis­ver­lei­hung oder bei jeder Hoch­zeit wer­de an die jun­gen Leu­te appel­liert: ‚Bleibt am Leben.’ Auch den bei­den Wai­sen­kin­dern, die er erzieht, sage er, wenn sie am Grab ihrer Eltern stün­den, es läge an ihnen, wie lan­ge sie leben woll­ten. Sie könn­ten ent­schei­den, wel­ches Leben sie füh­ren woll­ten. Die Zwei sind Nef­fe und Nich­te des Erz­bi­schofs, der eine Schwe­ster und zwei Brü­der Anfang der neun­zi­ger Jah­re wegen Aids ver­lo­ren hat.

Näher am Menschen

Mit Erz­bi­schof Paul Baky­en­ga kam auch Eliza­beth John­son aus Afri­ka nach Deutsch­land. »In Mala­wi gibt es kei­ne Fami­lie, die nicht von Aids betrof­fen ist«, sag­te sie. Die Arbeit der Ehren­amt­li­chen und ehe­ma­li­gen Lei­te­rin des katho­li­schen Aids-Pro­gramms der Diö­ze­se von Lilongwe ist das, was die dor­ti­ge Bevöl­ke­rung von der katho­li­schen Kir­che wirk­lich mit­be­kom­men. Die 51-Jäh­ri­ge wirkt zunächst fröh­lich, selbst bei einem so ersten The­ma. Aber als sie nach einem Ein­zel­bei­spiel gefragt wird, um dem mas­sen­haf­ten Schick­sal Aids Namen und Gesich­ter geben zu kön­nen, wird sie plötz­lich still. Sie holt tief Luft und wählt ihre Wor­te lang­sam. Die Toch­ter eines Por­tu­gie­sen und einer Afri­ka­ne­rin aus Mozam­bi­que beginnt von der eige­nen Fami­lie zu erzäh­len: John­sons Bru­der starb vor 15 Jah­ren im Alter von 38 Jah­ren an Aids. Und für drei ihrer Nef­fen bedeu­te­te die Pan­de­mie schon als jun­ge Män­ner den Tod, wei­te­re Fami­li­en­mit­glie­der steck­ten sich eben­so an. »Als mein Bru­der starb, woll­te ich etwas tun«, fährt sie merk­lich gefaß­ter fort. »Ich erfuhr von den Aids-Pro­jek­ten der Diö­ze­se und enga­gier­te mich ehren­amt­lich, vor allem für Aids­wai­sen. Spä­ter benö­tig­ten sie jeman­den zur Koor­di­na­ti­on der Pro­jek­te, da haben sie mich gefragt«. So wur­de Eliza­beth John­son für sie­ben Jah­re Che­fin eines Pro­gramms für die Wei­ter­bil­dung und Beglei­tung von Kran­ken­schwe­stern und Ehren­amt­li­chen, die bei der Pfle­ge von rund 5.000 Aids-Pati­en­ten und rund 1.500 Aids­wai­sen hel­fen. Ziel der Arbeit ist die Pfle­ge Aids­kran­ker in ihrer häus­li­chen Umge­bung. Zudem sol­len Dorf­ge­mein­schaf­ten zur Unter­stüt­zung für Aids-Wai­sen mobi­li­siert wer­den, derer es in Mala­wi zwi­schen 400.000 und 1,5 Mil­lio­nen geben soll, die Anga­ben der unter­schied­li­chen Quel­len variieren.

Kon­dom­de­bat­te con­tra Rea­li­tät der Frauen

»Ich pfle­ge selbst bei mir daheim ein Wai­sen­kind. Die klei­ne Imel­da kam im Alter von zwei Jah­ren zu mir und ist jetzt zehn«, sagt Eliza­beth John­son mit ihrer lei­sen, wei­chen Stim­me. Sie beschützt die Klei­ne damit nicht nur vor Hun­ger, son­dern auch vor Miß­brauch, dem jun­ge Mäd­chen oft­mals aus­ge­setzt sind. Sie heu­ern häu­fig als Haus­mäd­chen an, da vie­le Fami­li­en Ange­stell­te beschäf­ti­gen. Die Haus­her­ren behan­deln sie oft wie ihr Eigen­tum, auch in sexu­el­ler Hin­sicht. Auch sam­meln ihre Söh­ne schon mal ihre ersten Erfah­run­gen mit dem­sel­ben Mäd­chen. »Sogar beim Kochen kom­men des­we­gen die Män­ner«, sagt John­son, die vor allem mit Frau­en zusam­men­ar­bei­tet. Die Gefahr, sich dabei mit HIV anzu­stecken, ist sehr hoch. Nach Anga­ben von UNAIDS, dem Aids-Pro­gramm der UNO sind durch­schnitt­lich 14,1 Pro­zent der 15 bis 49-Jäh­ri­gen in Mala­wi mit dem Aids-Virus infi­ziert. Die öffent­li­che Dis­kus­si­on, die im eben­so zur ost­afri­ka­ni­schen Regi­on gehö­ren­den Ugan­da der­zeit dar­über geführt wird, ob eher Ent­halt­sam­keit oder Kon­do­me die Pan­de­mie wei­ter ein­däm­men, ist in Mala­wi weit vom Ort und weit von der all­täg­li­chen Rea­li­tät ent­fernt. Die For­de­rung einer Frau, der Mann möge doch ein Kon­dom benut­zen, wer­de mit Unver­ständ­nis und sogar Eifer­sucht­an­fäl­len beant­wor­tet. Ohne­hin hät­ten die Frau­en in Mala­wi nicht viel zu mel­den, obwohl ihnen die Ver­fas­sung von 1995 Gleich­be­rech­ti­gung zusi­che­re. »Rund sech­zig Pro­zent der Frau­en kön­nen weder lesen noch schrei­ben«, sag­te John­son. Damit bekä­men sie in der Stadt nur schlecht bezahl­te Jobs. Sehr viel rosi­ger sehe es für die Frau­en auf dem Land, wo min­de­stens acht­zig Pro­zent der Bevöl­ke­rung Mala­wis leb­ten, nicht aus. Sie müs­sen außer­ge­wöhn­lich hart arbei­ten, egal, wie es ihnen dabei geht, sind sie doch für Haus­halt, Erzie­hung und Unter­halt der Fami­lie zugleich ver­ant­wort­lich. Der nied­ri­ge Welt­markt­preis für Tabak und eine Dür­re vor vier Jah­ren drücken die ohne­hin schma­len Ein­künf­te der Land­be­völ­ke­rung in Malawi.

Teu­fels­kreis von Aids und Armut

Man­gel- und Unter­ernäh­rung sind die Fol­ge und pla­gen sie neben Mala­ria und Aids zusätz­lich, las­sen die Sym­pto­me der Immun­schwä­che­krank­heit viel schnel­ler her­vor­kom­men. Zudem gibt es nicht genug Medi­zin. Die Armut macht Aids noch grau­sa­mer und Aids ver­schärft die Armut. »Die Regie­rung gibt seit vori­gem Jahr bezu­schuß­te Dün­ge­mit­tel an bedürf­ti­ge Bau­ern. Zudem star­te­ten 2005 Bewäs­se­rungs­pro­jek­te. Das läßt hof­fen«, sag­te John­son. Eini­ge Frau­en ver­kauf­ten »Sex gegen Geld«. Bei dem nied­ri­gen Bil­dungs­ni­veau sind auch Kennt­nis­se über Wege der Ansteckung mit dem Aids­vi­rus nicht zu erwar­ten. »Oft­mals wis­sen sie nicht, wie sie sich selbst schüt­zen und nicht, wie sie ihre Kin­der schüt­zen«, beklag­te John­son. Und die es wüß­ten, igno­rier­ten oft­mals die Gefahr. »Eine Frau sag­te, wenn sie nicht wis­se, womit sie mor­gen ihr Kind füt­te­re, inter­es­sie­re sie nicht, ob sie in zehn Jah­ren noch lebe.« Ein tief­grei­fen­der Bewußt­seins­wan­del in dem süd­ost­afri­ka­ni­schen Land, das erst seit 1994 demo­kra­tisch ist, muß sich erst noch voll­zie­hen. Lan­ge war das The­ma tabu, »zu lan­ge« nach John­sons Auf­fas­sung. »Die Kir­che bringt Prä­ven­ti­ons­pro­gram­me in die Dör­fer«, berich­te­te John­son. Frei­wil­li­ge in den klei­nen christ­li­chen Basis­ge­mein­den, die nah an den Men­schen dran sind, schnei­den das heik­le The­ma Aids an, Prie­ster spre­chen dar­über in der Kir­che. Und sie kön­nen alle nicht ver­ste­hen, war­um die Euro­pä­er den Papst im Rom für Aids mit­schul­dig halten.

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