
Von Wolfram Schrems*
Was der Trierer Theologe Michael Fiedrowicz mit seiner bereits auf dieser Seite besprochenen Veröffentlichung Päpste und Kirchenväter, beabsichtigte, soll hier aufgegriffen und weitergeführt werden: alle Interessierten, Gläubige und Suchende, mit dem weithin unbekannten Schatz der Lehre der Kirchenväter näher vertraut zu machen.
Prof. Fiedrowicz und der Carthusianus-Verlag liefern mit ihren wertvollen Publikationen dazu die geeigneten Hilfsmittel.
Werfen wir daher einen kurzen Blick auf ein Werk, das sich mit dem genialen Schöpfer der Vulgata beschäftigt. Herausgeberin ist Claudia Barthold.
Der hl. Eusebius Hieronymus (also ohne dem häufig beigestellten Sophronius, geboren 347 in Stridon, nach seinen Worten „Grenzort zwischen Dalmatien und Pannonien“, nach damaliger politischer Einteilung Provinz Dalmatia, loziert entweder in der Nähe von Laibach oder von Rijeka, vielleicht auch Štrigova, dt. Stridau, im kroatischen Zwischenmurland oder in der Nähe des heutigen Bosansko Grahovo in Westbosnien, also nicht in Dalmatien nach heutigem Sprachgebrauch, gestorben 30. September 420 in Bethlehem), Mönch, Priester, Klostergründer, einer der vier „großen“ lateinischen Kirchenväter, Kirchenlehrer, ist der geschichtsmächtige Übersetzer bzw. Neuübersetzer der hl. Schrift in die lateinische Sprache. Er ist auch Verfasser vieler exegetischer, spiritueller und biographischer Schriften.
Das Buch: Leben und Werk berühmter Autoren
Die vorliegende Ausgabe enthält den lateinischen Text und eine deutsche Übersetzung der biobibliographischen Schrift De viris illustribus, „Über berühmte Männer“, einem Katalog von 135 Autoren mit kurzen Angaben zu ihren Lebensdaten und ihrem Werk. Damit ahmte Hieronymus eine literarische Gattung nach, die von Sueton und Cicero geprägt worden war. Eine seiner wichtigsten Quellen ist die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (ca. 260–340).

Anlaß der Schrift ist „der geistig-literarische, mit Argumentation und Rhetorik geführte Angriff der pagani“ (35) „also der heidnischen Polemiker Celsus (2. H. 2. Jhdt.), Porphyrius (ca. 233–305) und Kaiser Julian Apostata (330–363, Kaiser ab 361)“, dem sich Hieronymus entgegenstellt.
Dem Text sind eine umfassende Einleitung, der übliche textkritische Apparat, ein detaillierter Kommentar und mehrere Verzeichnisse und Register beigegeben. Die Literaturangaben umfassen etwa vierhundert Titel.
Brillante Darstellungen beispielsweise zur Rezeptionsgeschichte (etwa 18ff) zeigen eine Wissenschaftlerin, die scientiae und sapientiae und fidei gleichermaßen verpflichtet ist. Sie bietet sogar ein in lateinischer Sprache verfaßtes Vorwort zum kritischen Apparat (151).
Die Eintragungen des hieronymianischen Katalogs reichen vom Apostelfürsten Petrus und dem Herrenbruder Jakobus über Polykarp, Irenäus und Hilarius bis zu Hieronymus selbst. Was an diesem Katalog schon die Zeitgenossen überrascht hat: Hieronymus nahm in diese Liste auch Autoren mangelnder Rechtgläubigkeit (Tertullian, Origenes), den Häresiarchen Photinus, die Juden Philon und Josephus Flavius und den Heiden Seneca auf.
Die überwiegende Mehrzahl der dargestellten Autoren ist katholisch (besonders bekannte sind etwa Clemens von Rom, Ignatius von Antiochien und Justin).
Was Hieronymus wiederum nicht daran hindert, auch gegen rechtgläubige Zeitgenossen, die ihm irgendwie mißfallen, spitze Bemerkungen zu machen. Es ist durchaus paradox: Hieronymus wird mit Ambrosius, Augustinus und Gregor dem Großen zu den vier „großen“ Lateinischen Vätern gezählt, hatte jedoch zu den beiden erstgenannten ein spannungsreiches Verhältnis. Einen der vier „großen“ Östlichen Väter, den hl. Johannes Chrysostomus, immerhin einer der bedeutendsten Prediger der Kirchengeschichte („Goldmund“), bedenkt er mit einem unverständlich dürren Eintrag.
Hieran kann man erkennen, daß auch Heilige an ihren je spezifischen Schwächen arbeiten müssen. Bei Hieronymus war es ein Zug ins Cholerische. (Auch über den römischen Klerus dürfte er nicht begeistert gewesen sein, um das Mindeste zu sagen.)
Um nun zum hieronymianischen Text selbst zu kommen:
Von den Aposteln …
So klingen dann die biographischen Ausführungen:
„1. Simon Petrus, Sohn des Johannes, aus dem Ort Betsaida in der Provinz Galiläa, Bruder des Apostels Andreas und Oberhaupt der Apostel, übte das Bischofsamt in der Kirche von Antiochia aus und verkündete das Evangelium der Diaspora derer, die in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien von der Beschneidung zum Glauben gekommen waren; dann begab er sich im zweiten Regierungsjahr des Claudius nach Rom, um Simon den Magier zu bezwingen, und dort hatte er den Bischofsstuhl 25 Jahre inne (…). 3. Er schrieb zwei Briefe, die man als katholische bezeichnet; der zweite von ihnen wird ihm aufgrund der stilistischen Diskrepanz zum ersten von den meisten abgesprochen. 4. Aber auch das Evangelium nach Markus, der sein Hörer und Dolmetscher war, wird ihm zugeschrieben“ (161).

Erwähnenswert ist auch der Apostelschüler und Athener Bischof Quadratus (c. 19), der aussagte, „er habe noch viele gesehen, die zur Zeit des Herrn in Judäa mit Krankheiten belastet waren und geheilt wurden, und auch solche, die von den Toten auferstanden waren“ (185).
An sich ist eine solche Aussage ja nicht überraschend, da die in den Evangelien berichteten Ereignisse klarerweise historisch sind. Nach Jahrzehnten der fälschlich so genannten „Entmythologisierung“ der Bibel und der Bestreitung der historischen Zuverlässigkeit der Evangelien kommen heute wahrscheinlich die Wenigsten auf die Idee, daß die von Jesus geheilten oder auferweckten Menschen ja noch bis Ende des 1. Jahrhunderts Zeugnis von ihren Erlebnissen geben konnten.
Bemerkenswert ist der Eintrag zum alexandrinischen Juden Philo (c. 11), „der von uns deshalb unter die Kirchenschriftsteller eingereiht [wird], weil er ein Buch über die Urgemeinde des Markus in Alexandria verfasst hat“ (175), sowie der Eintrag zum ebenfalls jüdischen Josephus Flavius (c. 13) und dessen Christuszeugnis. Beide Einträge werden aber von der Wissenschaft als nicht zuverlässig gewertet (179, 293).
… bis in seine eigene Zeit – aber nicht immer sine ira et studio
Hieronymus war, wie gesagt, kein großer Freund seines Zeitgenossen Ambrosius (c. 124):
„Ambrosius, Bischof von Mailand, schreibt bis zum gegenwärtigen Tag; da er noch am Leben ist, will ich mich eines Urteiles über ihn enthalten, damit man nicht im einen Fall Schmeichelei oder im anderen Fall meine Wahrhaftigkeit beanstande“ (257).
Nunmehr jedoch freut sich Hieronymus, daß die wunderbaren Hymnen des Ambrosius zum fixen Bestandteil des Stundengebetes gehören. In der Gegenwart Gottes gibt es keine Antipathien mehr!
Am Schluß legt er seine eigenen Lebensdaten dar, zählt seine Schriften auf und schließt folgendermaßen ab (c. 135):
„5. Das Neue Testament habe ich nach dem griechischen Originaltext übertragen, das Alte Testament habe ich nach dem Hebräischen übersetzt; die Zahl der Briefe an Paula und Eustochium steht nicht sicher fest, da täglich neue entstehen. 6. Außerdem habe ich geschrieben: (…) viele andere Schriften über das Werk der Propheten, die ich momentan in Händen habe und die noch nicht abgeschlossen sind“ (263).
Jedenfalls stellt er sein Licht nicht unter den Scheffel. –
Leider sind eben nicht alle Einträge in der Liste des Hieronymus wasserdicht. Großer wissenschaftlicher Wert wird Hieronymus jedoch für die lateinischen Autoren zugestanden.
Resümee
Die Herausgeberin Claudia Barthold gehört zum Schülerkreis bzw. zur „Meisterklasse“ von Michael Fiedrowicz. Diesem widmete sie den Band. Aus den Widmungsworten ist ableitbar, daß sich der Meister offenbar nicht mit einer durchschnittlichen Arbeit zufriedengegeben hatte (vgl. Ex 5, 6). Deo gratias.
Claudia Barthold demonstriert mit diesem Band, wie die wissenschaftliche Edition eines Kirchenvatertextes (oder eines sonstigen bedeutsamen alten Textes) auszusehen hat. Insofern kann und soll jeder, der ein vergleichbares Projekt durchführen will, an dieser Ausgabe Maß nehmen.

Der Band ist allen zu empfehlen, die bereit sind, sich tiefer in die Probleme der Patristik einführen zu lassen. Für den einschlägig vorgebildeten Leser ist die Lektüre des hieronymianischen Katalogs und der Kommentare von großem Interesse. Er wird auf viele alte Bekannte stoßen. Er wird aber auch zur Kenntnis nehmen müssen, daß Hieronymus – Heiligkeit hin oder her – in diesem Text nicht immer exakt arbeitete und nicht frei von persönlichen Animositäten war, wie schon festgehalten.
Aber auch das ist die Realität in der heiligen Kirche.
Weiters ist der Band besonders Studenten der Theologie, der Geschichte und der Literaturwissenschaft zu empfehlen, die ihre Kenntnisse auf eine breitere Basis stellen wollen (oder sollen). Schließlich ist Hieronymus ja ein wichtiger Zeuge für die historische Zuverlässigkeit der Bibel und der frühen Väter. Denn wenn die Lehre Christi und Seiner Kirche nicht wahr gewesen hätte sein sollen, dann wäre zur Lebenszeit des Heiligen, immerhin knapp 400 Jahre nach den Ereignissen (d. h. Heilsereignissen), keine Spur mehr davon zu finden gewesen.
Aber Jesus Christus war noch immer in aller Munde, bei Katholiken wie bei Häretikern, bei Juden und Heiden, in Rom und in Bethlehem, am Balkan, in Armenien, Indien, Persien und in vielen anderen Gegenden. Auch der Profanhistoriker muß das anerkennen.
Dadurch wurde auch das Alte Testament über die Grenzen Israels hinaus bekannt. Hieronymus hatte bekanntlich die Hexapla des Origenes vor sich und somit einen offensichtlich verläßlichen hebräischen Text (den wir nicht bzw. nur teilweise besitzen).
Alles das sind Implikationen der Patristik.
Es lohnt sich also für Glaubende und Suchende, in die Lehren der Kirchenväter einzudringen. Sie sind das Paradigma der Tradition. Ohne Begründung der Theologie in der Tradition kommt nur Unsinn heraus – wie wir ja um uns herum sehen.
Von daher ist Prof. Fiedrowicz, seiner Assistentin Claudia Barthold und dem Verleger Peter Barthold Dank dafür auszusprechen, daß sie die Verbreitung der Kirchenväter im deutschen Sprachraum auf exzellente Weise fördern.
Hieronymus, De viris illustribus – Berühmte Männer, mit umfassender Werkstudie herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Claudia Barthold, Carthusianus-Verlag, Mühlheim an der Mosel, 2. verbesserte Auflage 2011 (unveränderter Nachdruck 2013), 432 S. www.carthusianus.de (Der Verlag ist mittlerweile nach Fohren-Linden übersiedelt).
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist, besonderes Interesse an den Kirchenvätern
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