Kardinal Vingt-Trois verlangt nach Attentaten ein „Umdenken“ – und wird als „gewalttätig“ und „homophob“ beschimpft


(Paris) Wäh­rend des See­len­am­tes für Abbé Jac­ques Hamel, pran­ger­te Kar­di­nal André Vingt-Trois gestern die lai­zi­sti­sche Ideo­lo­gie an, von der Frank­reich bestimmt wird, und in deren Humus der isla­mi­sche Ter­ro­ris­mus gedeiht. Für die­se Wahr­heit, die der Erz­bi­schof von Paris aus­zu­spre­chen wag­te, wur­de er beschimpft und verlacht.

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Seit den Atten­ta­ten des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) auf die Redak­ti­on des links­ra­di­ka­len Sati­re­blat­tes Char­lie Heb­do und des jüdi­schen Super­markts Hyper Cacher, die von fran­zö­si­schen Staats­bür­gern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ver­übt wur­den, fragt sich Frank­reich, wie es sein kann, daß „Fran­zo­sen“ ihr eige­nes Land so has­sen können.

Denkverbote

Selbst wer ver­hal­te­ne Zwei­fel allein schon an der Fra­ge­stel­lung anmel­de­te, wur­de brüsk zum Schwei­gen gebracht. Die Fra­ge nach dem Islam in Frank­reich und der Mas­sen­ein­wan­de­rung darf im offi­zi­el­len Medi­en­seg­ment ohne­hin nicht auf­ge­wor­fen wer­den. Der Vor­wurf lau­te­te umge­hend „Isla­mo­pho­bie“ und wirkt wie ein Tot­schlag­in­stru­ment. Die ent­spre­chen­den, ideo­lo­gisch moti­vier­ten Ände­run­gen der Straf­rechts­ord­nung durch Ein­füh­rung von Mei­nungs­de­lik­ten machen es mög­lich, gan­ze Fra­gen­kom­ple­xe weit­ge­hend zu tabuisieren.

Wer es trotz der Atten­ta­te wag­te, über einen Iden­ti­täts­ver­lust Frank­reichs zu spre­chen, weil die Iden­ti­tät durch eine lai­zi­sti­sche Lee­re und einen wil­den Nihi­lis­mus ersetzt wird, wur­de im besten Fall als „extre­mi­sti­scher Kreuz­zugs-Nost­al­gi­ker“ ange­grif­fen und verspottet.

Die Mei­nungs­frei­heit wird in Frank­reich durch Denk­ver­bo­te erstickt. Da ver­wun­dert es nicht, daß einer der klar­sich­tig­sten Kom­men­ta­re über das Übel, das Euro­pa befal­len hat, von einem Mus­lim, Hind Fraihi, stamm­te. Als Mus­lim genießt er eine Son­der­be­hand­lung, die Fran­zo­sen nicht gestat­tet ist.

Fraihi beklag­te nicht nur den radi­ka­len Islam, er stell­te auch die Fra­ge, was Euro­pa den jun­gen Mus­li­men, die man selbst oder deren Eltern ins Land hol­te, denn bie­te. „Euro­pa müß­te die­sen jun­gen Men­schen eine Alter­na­ti­ve bie­ten. Das Pro­blem ist, daß es kei­ne hat. Es hat kei­ne erkenn­ba­re Iden­ti­tät mehr. Es gibt nur Indi­vi­dua­lis­mus, aber der trennt die Men­schen, er eint sie nicht. Euro­pa muß sich ändern. Solan­ge es nur Mate­ria­lis­mus, Kapi­ta­lis­mus und Indi­vi­dua­lis­mus anzu­bie­ten hat, wird sich die Situa­ti­on schwer­lich bessern.“

Selbst nach dem x‑ten Atten­tat, bei dem ein Prie­ster in der Nor­man­die am Altar der Kir­che ermor­det wur­de, wäh­rend er die Hei­li­ge Mes­se zele­brier­te, gilt der Maul­korb. Es ist wei­ter­hin ver­bo­ten, das gro­ße Übel, das Frank­reich befal­len hat, beim Namen zu nen­nen. Kar­di­nal Vingt-Trois, der Erz­bi­schof von Paris ver­such­te im See­len­amt für den ermor­de­ten Prie­ster Jac­ques Hamel am Tabu zu krat­zen. Dafür wur­de er von der Nomen­kla­tur „ans Kreuz geschla­gen“ und beschimpft.

„Die Krise unserer Gesellschaft verlangt unerbittlich ein Überdenken unserer Werte“

Der Kar­di­nal kri­ti­sier­te das Poli­ti­ker-Schlag­wort von „den Wer­ten“, die es zu „ver­tei­di­gen“ gel­te, aber nie­mand wis­se und sage, um wel­che „Wer­te“ es sich denn dabei han­delt, für die man sich ein­set­zen soll­te, da die seit 2012 amtie­ren­den sozia­li­sti­sche Regie­rung Frank­reichs, aber auch schon deren Vor­gän­ger­re­gie­run­gen, in der Gesell­schafts- und Sozi­al­po­li­tik die tra­gen­den Wer­te unter­gra­ben haben und zum Teil offen bekämpfen.

Am Mitt­woch, einen Tag nach dem bru­ta­len Ritu­al­mord in Rouen, sag­te der Kar­di­nal in sei­ner Pre­digt wörtlich:

„Die Kri­se, die unse­re Gesell­schaft erfaßt hat, drängt uns auf uner­bitt­li­che Wei­se, unse­re Ansich­ten zu über­den­ken, was für uns die kost­bar­sten Güter sind. Oft wer­den die ‚Wer­te‘ wie ein Art Talis­man beschwo­ren, für die wir stand­hal­ten soll­ten, koste es, was es koste. Wir sind aber weni­ger lang­at­mig, wenn es um die Inhal­te geht, und das ist das Pro­blem. […] Für wel­che Wer­te sind wir bereit, alles zu ver­kau­fen, was wir besit­zen, um sie zu erwer­ben und zu schüt­zen? Viel­leicht haben uns unse­re Aggres­so­ren end­lich auf­merk­sam gemacht, auch das Objekt unse­res Wider­stan­des zu identifizieren?“

Und wei­ter: „Nie haben wir in Frank­reich einen sol­chen Wohl­stand, ein so beque­mes Leben und eine sol­che Sicher­heit gekannt wie heu­te. So vie­le pro­du­zier­te und – wenn auch ungleich – ver­teil­te Güter ver­hin­dern es aber nicht, daß wir Angst haben. Rührt die Angst daher, daß wir so viel davon ver­lie­ren könn­ten?“ Dann beklag­te der Kar­di­nal die gei­sti­ge Lee­re, das „Schwei­gen“, in das sich die Bedro­hung durch die Dschi­ha­di­sten mischt, die das Land lähmt. „Das Schwei­gen der Eltern ihren Kin­dern gegen­über und das Schei­tern der Wei­ter­ga­be der Wer­te. Das Schwei­gen der Eli­ten vor dem Ver­fall der Sit­ten und die Lega­li­sie­rung von Abir­run­gen. Schwei­gen bei der Arbeit, Schwei­gen zu Hau­se, Schwei­gen in der Stadt. Zu wel­chem Zweck soll­te man reden? Die vie­len Äng­ste erzeu­gen eine kol­lek­ti­ve Angst, und Angst blockiert. Die Angst drängt uns, zu ver­stecken und uns zu ver­stecken. Wo wer­den wir die Kraft fin­den, um uns die­sen Gefah­ren zu stel­len? Für uns, die wir an Jesus Chri­stus glau­ben, besteht die Hoff­nung dar­in, auf Sein Wort zu vertrauen.“

Kardinal als „homophob“ und gewalttätig“ beschimpft

Für Auf­merk­sam­keit sorg­ten reflex­ar­tig nur die Hin­wei­se auf den Sit­ten­ver­fall und die Lega­li­sie­rung von Abir­run­gen. Esther Ben­bassa, Sena­to­rin der Grü­nen jüdi­schen Glau­bens, in Istan­bul gebo­ren und mit fran­zö­si­schem, tür­ki­schem und israe­li­schem Paß,  beschimpf­te den Kar­di­nal, „empö­ren­de Sät­ze“ aus­ge­spro­chen zu haben.

Corin­ne Naras­si­gu­in, Spre­che­rin der regie­ren­den Sozia­li­sti­schen Par­tei und spe­zia­li­siert auf „Homo-Rech­te“ und Ein­wan­de­rung sag­te, sie sei „empört“ über die Art, wie der Kar­di­nal „die Homo-Ehe in einer Pre­digt der Hoff­nung ange­sichts des Ter­ro­ris­mus angrei­fen“ konnte.

Die ehe­ma­li­ge UMP-Mini­ste­rin für Jugend, Gesund­heit und Soli­da­ri­tät, Rose­ly­ne Bache­lot, sprach sogar von einer „uner­hör­ten Gewalt“, die der Kar­di­nal durch sei­ne Wor­te aus­ge­übt habe, und kün­dig­te an, „der Kampf gegen alle Dis­kri­mi­nie­run­gen“ wer­de fortgesetzt.

„Polemik der perfekte Beweis für das, was der Kardinal sagen wollte“

Aus dem Umfeld des Kar­di­nals wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, daß Vingt-Trois nicht spe­zi­ell die „Homo-Ehe“ gemeint habe, son­dern eine gan­ze Rei­he von gesetz­li­chen Maß­nah­men zu Fra­gen der Bio­ethik, des Lebens­an­fangs und des Lebens­en­des. Die sozia­li­sti­sche Regie­rung von Staats­prä­si­dent Hol­lan­de setz­te seit 2012 inner­halb weni­ger Jah­re zahl­rei­che Maß­nah­men in die­sen Berei­chen durch, dar­un­ter soge­nann­te „Homo-Rech­te“ wie die „Homo-Ehe“ und das Adop­ti­ons­recht für Homo­se­xu­el­le, eben­so Leih­mut­ter­schaft und Eutha­na­sie. Die Regie­rung wirbt aggres­siv für die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der und bekämpft Lebens­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen. Frank­reich regi­strier­te 2015 218.100 Abtrei­bun­gen. Sie schuf öffent­li­che Orte, an denen sich Dro­gen­ab­hän­gi­ge legal voll­pum­pen kön­nen. Die Gen­der-Ideo­lo­gie wur­de zur offi­zi­el­len Grund­la­ge der gesam­ten Schul­po­li­tik gemacht. Sie wird bereits in den Kin­der­gar­ten gelehrt und die Kin­der früh­sexua­li­siert und homosexualisiert.

Die­se „lai­zi­sti­sche Offen­si­ve“ kri­ti­sier­te Kar­di­nal Vingt-Trois und stell­te sie in einen Zusam­men­hang mit dem isla­mi­schen Ter­ro­ris­mus, der Frank­reich erschüt­tert, weil es um die Fra­ge gehe, was die Grund­la­gen des Staats­we­sens sei­en, was die­se tau­gen und wel­che ursäch­li­che, direk­te oder indi­rek­te Ver­bin­dung es zu den Atten­ta­ten gebe. Dafür wur­de er als „homo­phob“ und „gewalt­tä­tig“ beschimpft.

Vin­cent Ney­mon, der Spre­cher der Fran­zö­si­schen Bischofs­kon­fe­renz, reagier­te mit den Worten:

„Kar­di­nal Vingt Trois hat­te den Mut, zu sagen, wor­an er glaubt. Die­se Pole­mik ist der per­fek­te Beweis für das, was der Kar­di­nal sagen wollte.“

Text: And­res Becker
Bild: Tempi

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4 Kommentare

  1. Kar­di­nal Vingt-Trois ver­dient gro­ße Aner­ken­nung für sei­ne Wor­te, denn dazu bedarf es gro­ßer Näch­sten­lie­be und Mutes sowie Selbst­ver­leug­nung. Von einem Kar­di­nal in Deutsch­land kann man sich das schwer­lich vor­stel­len, weil es dazu offen­kun­dig an Ein­sicht mangelt.
    Die Gesell­schaft ist kaum noch zu ret­ten. Alle Tabus wur­den in Jahr­zehn­ten gebro­chen und bei vie­len ist eine Umkehr mensch­lich gese­hen nicht mehr mög­lich. Des­halb wird es wohl noch vie­ler Schmer­zen bedür­fen ehe mög­li­cher­wei­se eine Bes­se­rung ein­tre­ten kann. Denn trotz der Ter­ror­wel­len in Frank­reich wie auch nun in Deutsch­land wird gelebt als wäre nichts pas­siert- das gro­ße Über­tün­chen und Schwei­gen. Ich selbst mache schon lan­ge die Erfah­rung, daß es kei­nen Sinn mehr macht, Men­schen zu sen­si­bi­li­sie­ren für das Unrecht, ange­fan­gen von der Abtrei­bung bis …

  2. Bewer­tung der Atten­ta­te der letz­ten Tage und Wochen.
    Ob es eines Tages dazu kommt, dass dem Zeit­geist wider­spre­chen­de Kri­tik, zum Bei­spiel an der isla­mi­schen Zuwan­de­rung, per se, ähn­lich § 130 StGB, als Straf­tat­be­stand gefasst wer­den wird? „Leug­nung der Fried­lich­keit des Islam“ oder so.

  3. Ein ech­ter Kar­di­nal mit der dazu­ge­hö­ri­gen Tugend: Mut und Rückgrat.
    Das fehlt bei den Her­ren Woel­ki und Marx.

  4. Nun, in Frank­reich ern­tet man die Früch­te, die man gesät hat. Die rea­le Gewalt wird schwei­gend akzep­tiert und statt des­sen gegen eine erfun­de­ne „Gewalt“ zu Fel­de gezo­gen. Das Absur­de regiert im Nihi­lis­mus unse­rer Zeit das Den­ken. Eigent­lich ein tief trau­ri­ger Fall der Menschheit.

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