
(Rom) „Jesus wird von Osten wiederkommen, doch im Vatikan haben sie den Kompaß verloren.“ Mit diesen Worten leitet der Vatikanist Sandro Magister seinen Bericht über den jüngsten Vorstoß von Kurienkardinal Robert Sarah ein, der alle Priester der katholischen Kirche vor wenigen Tagen bei einer Tagung in London aufforderte, die Heilige Messe wieder Richtung Osten zu zelebrieren.
Gott oder dem Volk den Rücken zukehren?
Kardinal Sarah nannte auch gleich einen Termin, den Ersten Adventssonntag, ab dem die Zelebrationsrichtung wieder conversi ad Deum und nicht mehr versus populum sein soll. Die Zelebrationsrichtung Osten geht auf die älteste christliche Tradition zurück, die Zelebrationsrichtung zum Volk hin hingegen erst auf die protestantisierende nachkonziliare Liturgiereform. Man könnte aussagekräftig feststellen, daß ganze 1900 Jahre lediglich knapp 50 Jahren gegenüberstehen. Die Protestanten drehten den Altar vor 480 Jahren zum Volk hin, und damit aufgrund der Ostung der Kirchen Richtung Westen. Kardinal Sarah sagte am 5. Juli in London, es sei an der Zeit, die seit einigen Jahrzehnten auch in der katholischen Welt kolportierte Fehlinformation zu korrigieren, der Priester müsse zum Volk zelebrieren, weil er sonst ja dem Volk „den Rücken zukehrt“. Dem wird entgegengehalten, daß man auf derselben Ebene sagen könnte, daß der Priester seit 50 Jahren Gott den Rücken zukehrt, was zweifellos schwerwiegender sei.
Der Heilige Stuhl reagierte, vom Sarah-Vorstoß aufgeschreckt, prompt und ziemlich energisch: Papst Franziskus zitierte Kardinal Sarah am Montag zu sich und ließ anschließend durch Vatikansprecher Lombardi, bei dessen letzter Pressekonferenz, und den Hofvatikanisten Andrea Tornielli erklären, daß Papst und Kardinal sich darin einig seien, daß alles nur „ein Mißverständnis“ gewesen sei. Der für die heilige Liturgie zuständige Kardinalpräfekt hält jedoch unbeirrt an seinem Vorstoß fest und bekräftigte diesen auch nach seiner Audienz beim Papst.
„Schwieriges Verhältnis“ zwischen Kardinal Sarah und Papst Franziskus
Magister erinnert in seinem Aufsatz daran, daß es Papst Franziskus war, der Kardinal Sarah im Herbst 2014 an die Spitze der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung berief. Dem Kirchenoberhaupt ging es damals offenbar mehr darum, die Gottesdienstkongregation vom „Kleinen Ratzinger“, wie Sarahs Vorgänger, Kardinal Antonio Canizares, in Rom genannt wurde, und anderen „Ratzingerianern“ zu säubern.
Um „die Kirche im Dorf“ zu lassen, und – wie es scheint – durch die Entfernung von Kardinal Canizares nicht zuviel Staub aufzuwirbeln, ernannte er den aus Guinea stammenden Sarah, damals Vorsitzender des Päpstlichen Rates Cor Unum, zum Liturgieverantwortlichen, obwohl er dessen traditionelles Liturgieverständnis kannte. Offenbar waren der Papst und seine Berater der Meinung, daß die Besetzung der übrigen Führungspositionen an der Kongregation durch Vertreter eines anderen Liturgieverständnisses zur „Neutralisierung“ Sarahs genügen würde.
Tatsache ist, wie auch Magister bestätigt, daß „das Verhältnis zwischen Sarah und dem Papst immer schwierig war“. Als Papst Franziskus am Gründonnerstag 2016 nicht nur zum wiederholten Male den Ritus der Fußwaschung auf unorthodoxe Weise vollzog, sondern auch den Ritus selbst änderte, veröffentlichte Kardinal Sarah gleichzeitig ein Schreiben, aus dem hervorgeht, daß die päpstliche Entscheidung gegen seinen Willen getroffen wurde, und auf päpstliche Anordnung nun zwar auch Frauen die Füße gewaschen werden können, dazu aber kein Priester verpflichtet sei.
Am Montag knapp am „Bruch“ vorbeigeschrammt
Das Verhältnis zwischen Franziskus und Sarah kühlte in den vergangenen Tagen dermaßen ab, daß man hart an einem „Bruch“ (Sandro Magister) vorbeischrammte, wie die „Klarstellung“ durch das vatikanische Presseamt vom 11. Juli belegt.
Aussagen des Kardinals seien, was die Zelebrationsrichtung anbelangt, „fehlinterpretiert“ worden, „als würden sie von den bisherigen liturgischen Normen abweichende Anweisungen geben“. Es seien „daher keine neuen liturgischen Direktiven ab dem kommenden Advent vorgesehen“, und überhaupt sei es „besser“ die Formulierung „Reform der Reform“ zu vermeiden, so die offizielle Vatikan-Erklärung. Gemeint ist damit eine von Papst Benedikt XVI. und Kardinal Sarah wiederholte Formulierung, die eine Reform der Liturgiereform meint.
Lombardi und Tornielli, der am selben Tag einen noch deutlicheren Artikel gegen den Sarah-Vorstoß veröffentlichte, vermittelten am Montag den Eindruck, als sei der Kardinal durch den Besuch beim Papst zurückgerudert und habe von seinem Vorschlag, in Übereinstimmung mit Franziskus, Abstand genommen.
Vatikan- und „Papstsprecher“ demontieren, Kardinal Sarah bekräftigt Vorstoß
In Wirklichkeit bekräftigte Kardinal Sarah am selben Tag seinen Vorstoß auf der englischsprachigen Internetseite Sacra Liturgia, die mit seiner Erlaubnis den vollständigen Text seines Referats auf der gleichnamigen Tagung in London veröffentlichte. Der Text wurde in englischer und französischer Sprache mit dem Vermerk publiziert, daß der Kardinal nichts von dem Gesagten zurücknehme.
Eine der bemerkenswertesten Stellen besagt, daß zwischen ihm und Papst Franziskus gerade zur Formulierung „Reform der Reform“ Übereinstimmung herrsche. Das genaue Gegenteil behaupteten am selben Tag das vatikanische Presseamt und der päpstliche Hofvatikanist.
Wörtlich hatte Kardinal Sarah in London gesagt:
„Ich habe die Freude, mitzuteilen, daß Papst Franziskus, als ich im vergangenen April vom Heiligen Vater in Audienz empfangen wurde, mich gebeten hat, die Frage einer Reform der Reform zu studieren und wie sich die beiden Formen des Römischen Ritus gegenseitig bereichern könnten.“
Vollständig veröffentlicht wurde von Sacra Liturgia auch die Passage, mit der Kardinal Sarah alle Priester aufforderte, „ab Erstem Adventssonntag“ 2016 wieder Richtung Osten zu zelebrieren, „dem wiederkommenden Herrn entgegen“, wie der Kardinal sagte und ausführlich begründete.
Die Vatikanerklärung vom 11. Juli versucht diese Begründung mit einem Verweis auf die 2002 veröffentliche „Grundordnung des Römischen Meßbuchs“ zu demontieren. Dort heißt es im Paragraph 299:
„Der Altar ist von der Wand getrennt zu errichten, so dass man ihn leicht umschreiten und die Feier an ihm dem Volk zugewandt vollzogen werden kann.“
„Nicht gesagt wird, daß diese Regel für die neuen Kirchenbauten gilt“, so Magister, während in alten Kirchenbauten die Errichtung eines neuen Altares versus populum nur dann erlaubt ist, wenn der bestehende, der Apsis zugewandte Altar „die Teilnahme des Volkes erschwert“ und nicht ohne Schaden für den künstlerischen Wert verschoben werden kann.
Tiefer symbolischer Reichtum der Zelebrationsrichtung Osten
Magister erinnert zudem daran, daß Kardinal Sarah auf die vatikanischen Einwände bereits in seinem Interview mit Famille Chrétienne im Mai geantwortet hatte, auf das er auch in seinem Referat in London Bezug nahm. Der Kardinal erklärte, daß die Zelebration Richtung Osten „vollkommen legitim ist und mit dem Buchstabe und dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils übereinstimmt“. Gleichzeitig erklärte der Kardinal die große Bedeutung und den tiefen symbolischen Reichtum der Zelebrationsrichtung Osten.
Den Auftakt zu seinem Vorstoß hatte Kardinal Sarah bereits mit einem Aufsatz gemacht, der am 12. Juni 2015 im Osservatore Romano veröffentlicht wurde. Der Artikel ist für den Kardinalpräfekten von „kapitaler Bedeutung“, so Magister, „wenn er auch vorsorglich von den Informationsorganen des Heiligen Stuhls im Schatten gehalten wurde“.
Schon damals hielt der Kardinal fest, daß „anders als manchmal behauptet“, es „völlig konform mit den Konzilskonstitutionen und sogar opportun ist“, daß beim Schuldbekenntnis, dem Gloria, den Orationen und dem Eucharistischen Hochgebet „alle, Priester und Gläubige, sich gemeinsam Richtung Osten wenden“, um ihren Willen zum Ausdruck zu bringen, am Kult- und Heilswerk Christi teilzuhaben.
Damals machte der Kardinal den Vorschlag, daß die Rückkehr zur Zelebrationsrichtung Osten „an den Kathedralen“ umgesetzt werden sollte, „wo das liturgische Leben vorbildhaft“ zu sein habe. Der Kardinal forderte damit die Bischöfe auf, mit gutem Beispiel für ihren Klerus voranzugehen.
Ein Jahr später ging er in London einen Schritt weiter und wandte sich nicht nur an die Bischöfe, sondern an die gesamte Priesterschaft.
„Reform der (Liturgie-)Reform“
Anders als von Tornielli in seinem Artikel vom 11. Juli behauptet, rückte Papst Benedikt XVI. nicht von der „Reform der Reform“ ab. Vielmehr war ihm die Bedeutung der Zelebrationsrichtung ein besonderes Anliegen, besonders seit der Veröffentlichung des Buches „Conversi ad Dominum. Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung“ (2003) des deutschen Oratorianers und Liturgikers Uwe Michael Lang CO, zu dem Joseph Kardinal Ratzinger ein Geleitwort geschrieben hatte. Das Buch liegt aufgrund seiner Bedeutung inzwischen in zahlreichen Sprachen vor.
Lang war unter dem deutschen Papst Mitarbeiter der Gottesdienstkongregation und Consultor des Amtes für die Liturgischen Feiern des Papstes, kehrte aber im Juli 2012 unerwartet in sein Oratorium nach London zurück. Eine Abreise, die im nachhinein zum Teil als Indiz für das nahende Ende der „Reform der Reform“ durch den Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. gesehen wird. Tatsächlich wurde keiner der Consultoren für liturgische Fragen von Papst Franziskus im Amt bestätigt.
In London sagte Kardinal Sarah vor wenigen Tagen auch:
„Mir scheint es nützlich, daran zu erinnern, was ich bereits andere Male gesagt habe: Papst Franziskus hat mich gebeten, das außergewöhnliche von Benedikt XVI. begonnene liturgische Werk fortzusetzen (vgl. die Botschaft an die Sacra Liturgia-Tagung 2015 in New York, USA). Es ist nicht so, daß die Sichtweise seines Vorgängers entkräftet ist, weil wir einen neuen Papst haben. Ganz im Gegenteil hat der Heilige Vater Franziskus einen immensen Respekt für die liturgische Sichtweise und für die vom emeritierten Papst Benedikt XVI., in gewissenhafter Treue gegenüber den Absichten und den Zielen der Konzilsväter, umgesetzten Entscheidungen.“
Aufgeschrecktes päpstliches Umfeld, unbeirrter Kardinal
Kardinal Vincent Nichols, der Erzbischof von Westminster, dem Bistum, in dem Kardinal Sarah am 5. Juli seine Aufforderung an alle Priester der Kirche formuliert hatte, ging im Eiltempo auf Distanz zum Kardinalpräfekten. Gewichtiger ist ein Tweet gegen den Sarah-Vorstoß von Pater Antonio Spadaro, dem Schriftleiter der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, weil dieser zum engsten Vertrautenkreis von Papst Franziskus gehört, dem in Medienfragen auch Andrea Tornielli zuzurechnen ist.
Was also gilt nun? Was Kardinal Sarah sagt, oder was das vatikanische Presseamt sagt? So bleiben letztlich einmal mehr Rätsel über das Verhalten eines Papstes, der offenbar je nach momentanem Gesprächspartner diesen auch ganz Unterschiedliches zu verstehen zu geben scheint.
Fest steht, daß Kardinal Sarah nach seiner jüngsten Audienz beim Papst nicht an den Franziskus zugeschriebenen Aussagen festhalten würde, wenn der Papst ihm gegenüber nicht tatsächlich diese Haltung eingenommen hätte. Fest steht auch, daß Kardinal Sarah an seinem Vorstoß zur Wiedergewinnung der überlieferten Zelebrationsrichtung festhält, weil er von deren tiefen Bedeutung überzeugt ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Catholic Herald (Screenshot)
Also darf man weiter hoffen und vielleicht auch bezüglich notwendiger Korrekturen bei AL. Und wir stehen doch auch im hundersten Fatima-Jahr.
Wer von den hohen Würdenträgern rechnet denn schon mit der Wiederkunft Jesu?
Dafür ist man hier zu gut eingerichtet und zu festgefahren und hat die Zukunft der Kirche auch schon längst beschlossen. Jesus war gestern, heute ist Franziskus und Co.!