(Rom) Kardinal Gerhard Müller, der römische Glaubenspräfekt ist nicht der einzige Kurienkardinal, der von Papst Franziskus marginalisiert wird (siehe Papst Franziskus und die Marginalisierung der Glaubenskongregation). Das gilt auch für einen weiteren „Ratzingerianer“, den Frankokanadier Kardinal Marc Ouellet, Präfekt der Kongregation für die Bischöfe.
In seinem ersten Interview mit dem Atheisten Eugenio Scalfari , das am 1. Oktober 2013 in der Tageszeitung La Repubblica veröffentlicht wurde, sagte Papst Franziskus mit Blick auf einige Mitglieder der Römischen Kurie: „Der Hofstaat ist die Lepra des Papsttums“.
Franziskus scheint aber „die Aussätzigen und nicht den Aussatz zu bekämpfen“, so Secretum meum mihi. Die Tageszeitung Le Journal de Montréal titelte in ihrer gestrigen Ausgabe: „Kardinal Ouellet hat nicht mehr das Ohr des Papstes“. Kardinal Ouellet ist als Präfekt der Bischofskongregation für die Ernennungen der Bischöfe zuständig. Sein Dikasterium bereitet die Bischofsernennungen durch den Papst vor, holt die nötigen Informationen ein und empfiehlt Kandidaten.
Papst Franziskus „wirft Ouellets Empfehlungen in den Papierkorb“
Unter Papst Franziskus habe sich das grundlegend geändert: „Papst Franziskus hat seine Empfehlungen für die Ernennung neuer Bischöfe in den Papierkorb geworfen“, so die frankokanadische Zeitung.
„Es ist beunruhigend, weil es die Aufgabe von Kardinal Ouellet in Rom ist, dem Papst die Namen vorzuschlagen, er aber ignoriert sie und entscheidet sich für ganz andere Kandidaten“, so der Quebecer Religionsspezialist Alain Pronkin.
Die französische Tageszeitung La Croix berichtete vor wenigen Tagen, daß „es bereits geschehen ist, daß Papst Franziskus alle drei Namen ablehnte, die ihm von Kardinal Marc Ouellet, dem Präfekt der Bischofskongregation vorgelegt wurden, […] und selbst andere von seiner Richtung suchte.“
Laut dem Wochenmagazin L’Espresso war das zum Beispiel bei der Neubesetzung von drei wichtigen Bischofssitzen der Fall: von Chicago, Madrid und Sydney.
Die Ernennungen sind für Franziskus nicht nur eine Frage der Eignung, sondern eine Richtungsfrage. Die wirkliche Revolution von Papst Franziskus erfolgt durch Ernennungen.
Papst Franziskus sucht „nach den progressivsten Kandidaten“
Laut Le Journal de Montréal sei es sogar „sehr selten“, daß der Papst den Empfehlungen des Kardinals folgt, obwohl das dessen Aufgabe ist und Kardinal Ouellet durch seine Mitarbeiter den besten Überblick über die Lage in einer Diözese hat.
Der Papst bedient sich jedoch seiner eigenen Kanäle, nicht der offiziellen, sondern informeller, und die können auch ganz zufällig zustande kommen. Laut Alain Pronkin ist Papst Franziskus auf der Suche nach den „progressivsten Kandidaten“. Dafür ist er auf Empfehlungen angewiesen. Was er von Kardinal Ouellet ablehnt, akzeptiert er aus dem Kreis seiner Papst-Vertrauten. Mit anderen Worten, das Glaubens- und Kirchenverständnis von Kardinal Ouellet, einem Ratzingerianer, mißfällt dem Papst.
„Ein konkretes Beispiel: Der Papst ist dafür, daß die wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion empfangen dürfen, Kardinal Ouellet brachte hingegen seine Ablehnung zum Ausdruck“, so Alain Pronkin.
Dasselbe gelte zum Thema Homosexualität.
Aus diesem Grund meide Franziskus alles, was ihm von Kardinal Ouellet vorgelegt wird und verlasse sich lieber auf labile Zufallsempfehlungen.
Empfehlung eines progressiven Vertrauten genügt, um Bischof zu werden
Ganz zufällig seien diese aber nicht. Der Papst bediene sich zum Teil des Jesuitenordens, um Informationen einzuholen. Entscheidend für Franziskus sei die progressive Gesinnung des Kandidaten, die ihm durch einen Vertrauten bestätigt werden müsse. Das genügt. Der Papst brauche dann keine Dossiers und Berichte, wie sie ihm von der Bischofskongregation vorgelegt werden. Die Empfehlung einer Person, der er vertraut genüge, um jemanden zum Bischof zu machen.
Der Erzbischofsstuhl von Chicago gehört zu den einflußreichsten der USA. Papst Franziskus lehnte alle drei Kandidaten ab, die ihm von Kardinal Ouellet in Zusammenarbeit mit dem Apostolischen Nuntius und dem bisherigen Erzbischof Kardinal Francis George vorgelegt wurden. Stattdessen ernannte er Bischof Blaise Cupich, der wegen seiner progressiven Ansichten als größter Außenseiter im Episkopat der USA galt. Damit trieb Franziskus nicht nur einen Splitter, sondern einen regelrechten Pfahl mitten ins Herz der katholischen Kirche in den USA. Erzbischof Cupich sprach sich bereits für die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und die Anerkennung der Homosexualität aus.
Kurz vor seinem Tod sagte Kardinal George über die Bischofsynode in Rom:
„Der Papst hat gesagt, daß er jede Frage gestellt sehen will, und so geschah es, also hat er bekommen, was er wollte, und nun muß er das in Ordnung bringen. […] Es stellt sich die Frage, warum er diese Dinge nicht selbst klarstellt. Warum ist es notwendig, daß Apologeten die Bürde haben, die beste Interpretation zu finden? Realisiert er nicht die Konsequenzen einiger seiner Stellungnahmen, oder sogar seiner Handlungen? Realisiert er nicht die Auswirkungen?“
Bekanntlich brachte auch das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia nicht die päpstliche Klarstellung. Dafür sind die „Apologeten“ wieder fleißig unterwegs, „die beste Interpretation zu finden“.
Ernennungen: Hier vollzieht sich die „Revolution“ Franziskus am nachhaltigsten
Papst Franziskus arbeite mit Akribie an einem neuen personellen Netzwerk auf der Entscheidungsebene, das die Kirche strukturell auch über seinen Tod hinaus in eine bestimmte Richtung führen soll. Vielleicht sei seine Personalpolitik, die meist ganz im Stillen geschehe, sogar das wichtigste Betätigungsfeld, auf dem er seine Kirchenvision umsetze. Hier vollziehe sich seine „Revolution“ am nachhaltigsten.
Laut Pronkin könnte Kardinal Ouellet demnächst von Papst Franziskus abgelöst werden. Der Frankokanadier, so Pronkin, wäre nicht der erste hohe Kurienmitarbeiter, der wegen seiner Kritik am päpstlichen Kurs abgesetzt würde. Allerdings habe Franziskus einen Weg gefunden, die Ernennung nach seiner Wahl zu treffen, obwohl die zuständige Kongregation in der Hand von Personen ist, deren Überzeugung er ablehnt. Die informellen, semi-klandestinen Ernennungen an den offiziellen Stellen vorbei sei nicht nur eine Notlösung, sondern entspreche wahrscheinlich dem Naturell des Papstes und seiner Aversion gegen Regeln und Gesetze.
Für die „Revolutionierung“ der Bischofsernennungen habe es sogar Vorteile, daß ein Ratzingerianer weiterhin offiziell an der Spitze der Bischofskongregation steht. Das erwecke in der Kirche den Eindruck, daß es ein ausgleichendes Gegengewicht gebe, das es in Wirklichkeit aber nicht gibt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL (Screenshot)