Canossagang von Papst Franziskus zu den Lutheranern?


Martin Luther und Papst Franziskus
Martin Luther und Papst Franziskus

(Rom) Am 15. Novem­ber 2015 sag­te Papst Fran­zis­kus in der evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Kir­che in Rom, in Beant­wor­tung einer Fra­ge: „Ich fra­ge mich: Aber haben wir nicht die glei­che Taufe?“
Ein Jahr zuvor schick­te Papst Fran­zis­kus am 20. Novem­ber 2014 ein Schrei­ben an die Voll­ver­samm­lung des Päpst­li­chen Rats zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten. Dar­in schrieb er:

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„Wäh­rend wir Dank sagen, müs­sen wir zuge­ben, dass wir als Chri­sten immer noch gespal­ten sind und dass die Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten über neue anthro­po­lo­gi­sche und ethi­sche The­men unse­ren Weg zur Ein­heit ver­kom­pli­zie­ren. Den­noch dür­fen wir der Ver­zagt­heit und der Ent­mu­ti­gung nicht nach­ge­ben, son­dern müs­sen wei­ter­hin Gott ver­trau­en, der in die Her­zen der Gläu­bi­gen Samen der Lie­be und der Ein­heit legt, damit sie mit neu­em Eifer die öku­me­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen der heu­ti­gen Zeit ange­hen: um die geist­li­che Öku­me­ne zu pfle­gen, um die Öku­me­ne des Blu­tes wert­zu­schät­zen, um gemein­sam den Weg des Evan­ge­li­ums zu gehen.“

Der pro­gres­si­ve US-Vati­ka­nist John Allen kom­men­tier­te vor weni­gen Tagen die Nach­richt, daß Papst Fran­zis­kus am 31. Okto­ber nach Schwe­den flie­gen wird, um mit dem Luthe­ri­schen Welt­bund den 499. Jah­res­tag von Luthers „Refor­ma­ti­on“ zu fei­ern, die das Abend­land spal­te­te: „Wenn Fran­zis­kus wegen sei­ner öku­me­ni­schen Agen­da als Revo­lu­tio­när zu sehen ist, gilt es dar­an zu erin­nern, daß es sich dabei um eine Revo­lu­ti­on han­delt, die schon lan­ge vor sei­ner Ankunft begon­nen hat und mit Sicher­heit noch lan­ge nach ihm wei­ter­ge­hen wird.“

Kuba als „neutraler Boden“ für die erste Begegnung zwischen Rom und Moskau

Fran­zis­kus ist ein Papst der Schlag­zei­len mit einer außer­ge­wöhn­li­chen Fähig­keit, sich immer in den Schlag­zei­len zu hal­ten. So erfolg­te nach eini­gem Tau­zie­hen die gleich­zei­tig in Rom und Mos­kau erfolg­te Ankün­di­gung, daß das seit Jahr­zehn­ten von Rom ange­streb­te Tref­fen zwi­schen dem Papst und dem Mos­kau­er Patri­ar­chen Wirk­lich­keit wird. Am 12. Febru­ar wer­den sich Fran­zis­kus und Kyrill auf Kuba begegnen.

Die Kari­bik­in­sel gilt bei­den Sei­ten als aus­rei­chend „neu­tra­ler Boden“: von der Reli­gi­on her ein latei­ni­sches Land, das jedoch auf­grund der poli­ti­schen Ver­hält­nis­se seit einem hal­ben Jahr­hun­dert gute Bezie­hun­gen zum Kreml pflegt. Das Land ist jeden­falls geo­gra­phisch gese­hen weit weg vom alten Schis­ma zwi­schen West- und Ostkirche.

Im ersten Vier­tel des 20. Jahr­hun­derts hoff­ten Rom und die Päp­ste auf eine Über­win­dung des immer als schmerz­lich emp­fun­de­nen Schis­mas zwi­schen grie­chi­scher und latei­ni­scher Kir­che. Die Umar­mung zwi­schen Papst Paul VI. und dem Öku­me­ni­schen Patri­ar­chen Athe­n­agoras galt als Frucht nach mehr als 60 Jah­ren die­ser Bemü­hun­gen. Seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil rück­te im deut­schen Sprach­raum und in Nord­eu­ro­pa vor allem die Ein­heit mit den Pro­te­stan­ten in den Mittelpunkt.

Die Bezie­hun­gen zwi­schen Rom und Kon­stan­ti­no­pel wur­den immer enger und gegen­sei­ti­ge Besu­che und Begeg­nun­gen zur Selbst­ver­ständ­lich­keit. Was noch fehl­te, war Mos­kau, das sich auch inner­halb der Ortho­do­xie als Kon­kur­rent zu Kon­stan­ti­no­pel um den Vor­rang sieht. Papst Johan­nes Paul II. arbei­te­te lan­ge auf einen Besuch in der Sowjet­uni­on hin. Die Hoff­nung, die er nach Polen getra­gen hat­te, woll­te er auch in die UdSSR und spä­ter in die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on brin­gen. Histo­ri­sche Hür­den stan­den dem pol­ni­schen Papst jedoch im Wege.

Die furchtbare Spaltung des Abendlandes

Franziskus empfängt Vertreter des Lutherischen Weltbundes
Fran­zis­kus emp­fängt Ver­tre­ter des Luthe­ri­schen Weltbundes

Der argen­ti­ni­sche Papst bewegt sich über­all mit einer gelas­se­nen Selbst­ver­ständ­lich­keit, als wür­den histo­ri­sche Ereig­nis­se für ihn kei­ne Bedeu­tung haben. Er spricht mit Kon­stan­ti­no­pel und plau­dert locker als Papst, aber „Nicht-Theo­lo­ge“ („Ich über­las­se die Fra­ge den Theo­lo­gen, denen, die es ver­ste­hen“, luthe­ri­sche Kir­che in Rom) mit den Luthe­ra­nern und fei­ert mit ihnen deren Grün­dungs­fest, mit dem sie sich vom „Anti­christ“ (Papst) und der „Hure Baby­lons“ (katho­li­sche Kir­che) los­sag­ten. Und er schaut nach Mos­kau und schickt den Evan­ge­li­ka­len Video­bot­schaf­ten. Alles mit einer Leich­tig­keit, als hand­le es sich um einen Spa­zier­gang oder ein Spiel. Jeder Schritt fin­det eben­so begei­ster­ten Zuspruch wie empör­te Ablehnung.

Ein nie­der­deut­scher Papst regier­te zur Zeit, als Luther Euro­pa und vor allem das deut­sche Volk in eine schreck­li­che Spal­tung stürz­te. Ein Papst, der auf­grund sei­ner Her­kunft den Ernst der Lage erkann­te und zu einer grund­le­gen­den Erneue­rung der Kir­che und zur Abwehr der Spal­tung auf­rief, des­sen Pon­ti­fi­kat aber zu kurz währ­te. Fast 500 Jah­re spä­ter regier­te mit Bene­dikt XVI. erneut ein deut­scher Papst, der den Pro­te­stan­tis­mus und sein Den­ken, vor allem in sei­ner histo­ri­schen Aus­prä­gung, genau kann­te. Und er stimm­te zu Mar­tin Luther kei­nes­wegs in den fast ver­pflich­ten­den Opti­mis­mus der Öku­me­ne-Beauf­trag­ten ein. Im Augu­sti­ner­klo­ster von Erfurt sag­te er am 23. Sep­tem­ber 2011 zu den Ver­tre­tern des Rats der Evan­ge­li­schen Kir­chen in Deutschland:

„Nein, das Böse ist kei­ne Klei­nig­keit. Es könn­te nicht so mäch­tig sein, wenn wir Gott wirk­lich in die Mit­te unse­res Lebens stel­len wür­den. Die Fra­ge: Wie steht Gott zu mir, wie ste­he ich vor Gott – die­se bren­nen­de Fra­ge Luthers muß wie­der neu und gewiß in neu­er Form auch unse­re Fra­ge wer­den, nicht aka­de­misch son­dern real. Ich den­ke, daß dies der erste Anruf ist, den wir bei der Begeg­nung mit Mar­tin Luther hören sollten.“

Die Rede war umstrit­ten, weil es eine hohe Erwar­tungs­hal­tung gab und ver­schie­de­ne Sei­ten den Papst für sich bean­spru­chen oder aber auf Distanz zu ihm gehen woll­ten. Vor allem von einem Teil der luthe­ri­schen Sei­te wur­de ver­sucht, den Vati­kan unter Druck zu set­zen, als gebe es eine Bring­schuld der katho­li­schen Kir­che. Der Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne schrieb damals, daß die Rede zunächst ein­mal in ihrem Kon­text zu sehen sei und man dann getrost jenen katho­li­sie­ren­den pro­te­stan­ti­schen Stim­men Glau­ben schen­ken kön­ne, die die­se Wor­te als Mah­nung an die heu­ti­gen Luthe­ra­ner sahen, sich zwi­schen Chri­stus und dem Zeit­geist ent­schei­den zu müssen.

Welche katholische Antwort auf 500 Jahre „Reformation“?

Die 500-Jahr­fei­ern der „Refor­ma­ti­on“ kön­nen von Rom nicht igno­riert wer­den. Der Papst muß dazu Stel­lung neh­men. Soweit sind sich alle einig. Eine Fra­ge, die der­zeit in Rom beschäf­tigt, lau­tet: Wird der argen­ti­ni­sche Papst imstan­de und wil­lens sein, eine katho­li­sche Ant­wort auf die anti­ka­tho­li­sche Kir­chen­spal­tung zu for­mu­lie­ren? Eine Ant­wort, die zunächst ein­mal die katho­li­sche Posi­ti­on klar­stel­len und gleich­zei­tig in der pro­te­stan­ti­schen Welt, ob im Kleid der schrump­fen­den histo­ri­schen Lan­des­kir­chen oder im Kleid der unzäh­li­gen Frei­kir­chen, einen Nach­denk­pro­zeß aus­lö­sen kann.

Weder das eine noch das ande­re wird mög­lich sein, wenn nicht eine „merk­wür­di­ge Reha­bi­li­tie­rung des Pro­te­stan­tis­mus“ über­wun­den wird, die „nur posi­ti­ve Aspek­te“ her­vor­hebt, wie der Theo­lo­ge Georg May bereits 1975 formulierte:

„Das unge­heu­re Unheil, das der Pro­te­stan­tis­mus über die Erde gebracht hat, und die Aggres­si­vi­tät gegen die katho­li­sche Kir­che, die er bis zur Stun­de über­all zeigt, wo die Kir­che nicht sei­ne Geschäf­te besorgt, wur­den über­gan­gen. Die­sen Feh­ler der Kon­zils­vä­ter muß die Kir­che teu­er bezah­len.“ [1]Georg May: Der Öku­me­nis­mus als Hebel der Pro­te­stan­ti­sie­rung der katho­li­schen Kir­che, Una Voce Kor­re­spon­denz Heft 5/​1975, Nach­druck Ver­ax-Ver­lag, Müst­a­ir 2000

Mar­tin Luther war ein „grim­mi­ger Has­ser der katho­li­schen Kir­che“, so Georg May. Eine histo­ri­sche Tat­sa­che, die nicht ein­fach zu über­ge­hen sein wird, wenn die Begeg­nung von Lund eine brauch­ba­re Grund­la­ge haben soll. Damit steht die Öku­me­ne 50 Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ins­ge­samt auf dem Prüf­stand. „Der Öku­me­nis­mus als Hebel der Pro­te­stan­ti­sie­rung der katho­li­schen Kir­che“, lau­te­te das kri­ti­sche Ver­dikt von Georg May vor 40 Jahren.

Im Zusam­men­hang mit der ange­kün­dig­ten Lund-Rei­se von Papst Fran­zis­kus zum vor­zei­ti­gen „Refor­ma­ti­ons­ge­den­ken“ bleibt die Fra­ge nach Sinn und Nut­zen nicht aus. „Der Pro­te­stan­tis­mus ist ver­ständ­li­cher­wei­se von die­ser Ent­wick­lung in der katho­li­schen Kir­che sehr ange­tan und unter­stützt daher den amt­li­chen und pri­va­ten Pro­gres­sis­mus mit allen Mit­teln“ und „den vom Pro­gres­sis­mus pro­kla­mier­ten soge­nann­ten Ökumenismus.“

Die Rei­se nach Lund zum genann­ten Anlaß ist in jedem Fall ein Ent­ge­gen­kom­men des Pap­stes gegen­über den Luthe­ra­nern. Wie aber sieht das luther­a­ni­sche Ent­ge­gen­kom­men aus? Bis­her war davon nichts zu hören.

Georg May schrieb in sei­ner Ana­ly­se, die in 40 Jah­ren nichts an ihrer Aktua­li­tät ver­lo­ren hat:

„Die Begei­ste­rung des Pro­te­stan­tis­mus für den Öku­me­nis­mus nimmt aber regel­mä­ßig dort sofort ein Ende, wo von ihm ein Ent­ge­gen­kom­men gegen­über der katho­li­schen Kir­che oder gar die Über­nah­me katho­li­scher Leh­ren erwar­tet wird. Es ist kein ein­zi­ger Fall bekannt, in dem der Pro­te­stan­tis­mus eine inter­kon­fes­sio­nel­le Zusam­men­ar­beit betrie­ben hät­te, die zu sei­nen Ungun­sten aus­ge­schla­gen wäre. Für die katho­li­sche Kir­che ist letz­te­res die Regel.“

Lund als „ökumenische Wende“? – Maßstab Dominus Iesus

Franziskus in der lutherischen Christuskirche in Rom (Pastor Kruse, rechts)
Fran­zis­kus in der luthe­ri­schen Chri­stus­kir­che in Rom (Pastor Kru­se, rechts)

May wird durch den ein­sei­ti­gen Applaus bestä­tigt, der Öku­me­ne-Gesten zuteil wird. Die Ankün­di­gung der päpst­li­chen Lund-Rei­se wur­de von Öku­me­ne-Beauf­trag­ten bereits als „öku­me­ni­sche Wen­de“ bezeich­net. Bis­her gibt es nichts, was inhalt­lich auf eine sol­che „Wen­de“ hin­wei­sen wür­de. Die Geste aller­dings spricht für sich, und der amtie­ren­de Papst ist ein Mei­ster der Gesten. Gesten ver­än­dern nicht die Leh­re, kön­nen aber sogar mehr Ein­fluß auf das Den­ken und Han­deln der Men­schen aus­üben als die Leh­re: im Posi­ti­ven wie im Nega­ti­ven. Der „Prak­ti­ker“ Fran­zis­kus gab mehr­fach zu ver­ste­hen, daß für ihn die Pra­xis wich­ti­ger sei als die Theo­rie. Sei­ne Hand­lungs­ebe­ne ist daher unkon­ven­tio­nell. Dem ist auch bei der Bewer­tung sei­nes Han­delns Rech­nung zu tra­gen. Die Hebel setzt er er gezielt ein, wis­send, daß die Pra­xis in der Wir­kung über die Theo­rie siegt.

Wer den von Georg May kri­ti­sier­ten Öku­me­nis­mus und des­sen Ver­tre­ter erken­nen will, ver­fügt seit dem Jahr 2000 über ein untrüg­li­ches Instru­ment: die Erklä­rung Domi­nus Iesus der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on „über die Ein­zig­ar­tig­keit und die Heils­uni­ver­sa­li­tät Jesu Chri­sti und der Kir­che“. Seit­her genügt es, Aus­sa­gen und Doku­men­te zur Öku­me­ne danach zu über­prü­fen, ob Domi­nus Iesus Erwäh­nung fin­det oder nicht. Wer es von katho­li­scher Sei­te uner­wähnt läßt, segelt auf dem fal­schen Damp­fer und ver­sucht das Schiff der Katho­li­schen Kir­che in gefähr­li­che Gewäs­ser zu schlep­pen. Alle vor­he­ri­gen oder nach­he­ri­gen Doku­men­te, auch jene des Päpst­li­chen Rats zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten, die die­ser Erklä­rung wider­spre­chen, wer­den durch sie auf­ge­ho­ben und überwunden.

Ein ent­schei­den­der Knack­punkt zwi­schen Rom und den Pro­te­stan­ten, und eben­so zwi­schen Rom und den Ortho­do­xen, bleibt zudem das Papst­tum selbst. Wahr­schein­lich han­delt es sich dabei sogar um den ent­schei­den­den Knack­punkt, da sich in ihm alle Schich­ten verdichten.

Papst Franziskus „unter vielen Aspekten ein bißchen ‚ketzerisch‘ “

Für den Reli­gi­ons­hi­sto­ri­ker Gio­van­ni Fil­or­a­mo kön­ne „viel­leicht nur ein Papst wie Fran­zis­kus“, „der unter vie­len Aspek­ten ein biß­chen ‚ket­ze­risch‘“ sei, „feste und dau­er­haf­te Brücken zur luthe­ri­schen Wirk­lich­keit schla­gen“. Die Bemer­kung von Fil­or­a­mo gegen­über der Tages­zei­tung Il Foglio sei „iro­nisch“ gemeint gewe­sen, aber auch wie­der nicht. Die Luthe­ra­ner dürf­ten nicht als ein­heit­li­cher Block gese­hen wer­den. „Ein Teil der luthe­ri­schen Kir­che ist für den Dia­log offen, ein ande­rer nicht. Die­ser Papst könn­te eini­ge Schrit­te auf theo­lo­gi­scher Ebe­ne set­zen, auch wenn der eigent­li­che Abgrund ganz ekkle­sio­lo­gisch ist und damit mit dem sakra­len Wesen der Kir­che zu tun hat.“

Kri­ti­ker bezwei­feln gera­de die Fähig­keit des argen­ti­ni­schen Pap­stes, sich auf theo­lo­gi­scher Ebe­ne bewe­gen zu kön­nen. Von der Not­wen­dig­keit der Ein­heit und der Über­win­dung von „Spal­tun­gen und Ego­is­men“ sprach Papst Fran­zis­kus oft seit dem 19. Juni 2013. Bei der Gene­ral­au­di­enz erzähl­te Fran­zis­kus eine Episode:

„Ich erzäh­le euch etwas: Bevor ich heu­te aus dem Haus gegan­gen bin, war ich etwa 40 Minu­ten, eine hal­be Stun­de mit einem evan­ge­li­schen Pastor zusam­men, und wir haben zusam­men gebe­tet und die Ein­heit gesucht. Wir müs­sen als Katho­li­ken unter­ein­an­der und auch mit den ande­ren Chri­sten beten: dar­um beten, dass der Herr uns die Ein­heit schen­ken möge, die Ein­heit untereinander.“

Eine in der luthe­ri­schen Chri­stus­kir­che von Rom gege­be­ne Ant­wort des Pap­stes auf die Fra­ge einer Luthe­ra­ne­rin ist Kri­ti­kern mit Schau­er in Erin­ne­rung. Die Ant­wort erfolg­te in frei­er Rede. Es wur­de bis­her vom Vati­kan nicht offi­zi­ell bestä­tigt, doch läßt sich auf­grund der gän­gi­gen, bis­he­ri­gen Pra­xis schlie­ßen, daß Papst Fran­zis­kus die Fra­gen bereits vor­her bekannt waren und sei­ne Ant­wort zwar frei gespro­chen, aber nicht spon­tan war. Die Fra­ge, ob Luthe­ra­ner die Kom­mu­ni­on emp­fan­gen könn­ten, über­läßt der Papst – im Wider­spruch zur kirch­li­chen Leh­re – letzt­lich dem sub­jek­ti­ven Gewis­sen. Die teils strah­len­den und bei­pflich­tend nicken­den Gesich­ter anwe­sen­der Luthe­ra­ner signa­li­sier­ten, wie die päpst­li­che Auf­for­de­rung ver­stan­den wurde.

Pastor als Papst-Interpret?

Der luthe­ri­sche Pastor Jens-Mar­tin Kru­se ergriff umge­hend den ihm zuge­spiel­ten Ball, um von der Theo­rie zur Pra­xis über­zu­ge­hen. Wäh­rend auf katho­li­scher Sei­te betre­te­nes Schwei­gen herrsch­te, weil einem Papst nicht zu wider­spre­chen sei, wur­de Pastor Kru­se damit zum tat­kräf­ti­gen und, da er beim Besuch in der Chri­stus­kir­che an der Sei­te von Fran­zis­kus saß, wenn nicht authen­ti­schen, so doch ein­fluß­rei­chen Inter­pre­ten der Papst-Worte:

„Es ist ein rea­li­sti­sches Ziel, vor allem mit die­sem Papst, weil er ver­stan­den hat, daß es für jene gemisch­ten Paa­re ein schwer­wie­gen­des Pro­blem ist, weil sie nicht zusam­men am Abend­mahl teil­neh­men kön­nen.“ Abge­se­hen davon, so Pastor Kru­se, gebe es „beim Ver­ständ­nis der Eucha­ri­stie kei­ne gro­ßen Unter­schie­de zwi­schen Katho­li­ken, Luthe­ra­nern und Angli­ka­nern: alle den­ken wir, daß das Brot und der Wein der Leib und das Blut von Jesus Chri­stus sind.“

Laut Kru­se, habe Fran­zis­kus jeden ein­ge­la­den, sei­ne „Ver­ant­wor­tung“ vor Gott zu über­neh­men und damit nach dem eige­nen Gewis­sen zu ent­schei­den, „ob für ihn die gemein­sa­me Teil­nah­me an der Eucha­ri­stie zwi­schen Katho­li­ken und Pro­te­stan­ten mög­lich ist“. Jeden­falls gebe es „kei­ne theo­lo­gi­schen Grün­de“, war­um dem nicht so sein könnte.

Glaubenskongregation: ein „Mißverständnis“

Kardinal Kasper wird Papst Franziskus zum Luther-Gedenken nach Lund begleiten
Kar­di­nal Kas­per wird Papst Fran­zis­kus zum Luther-Geden­ken nach Lund begleiten

Die römi­sche Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on unter der Lei­tung von Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler scheint da dann doch ganz ande­rer Ansicht zu sein. Der unge­klär­te Umgang mit Aus­sa­gen und Gesten eines Pap­stes, die grenz­wer­tig oder häre­tisch sind, läßt im Vati­kan, der ohne­hin nicht für sein Tem­po bekannt ist, wich­ti­ge Zeit ver­strei­chen. Kar­di­nal Mül­ler sag­te dem Natio­nal Catho­lic Regi­sterm einen Monat nach den Fran­zis­kus-Wor­ten zu den Luthe­ra­nern, daß es sich dabei um ein „Miß­ver­ständ­nis“ gehan­delt habe. Die Unter­schie­de im eucha­ri­sti­schen Ver­ständ­nis sei­en zwi­schen Katho­li­ken und Luthe­ra­nern „zu ver­schie­den“. Glei­ches gel­te für das Kir­chen­ver­ständ­nis. Dabei gehe es nicht nur um „theo­lo­gisch-kon­zep­tio­nel­le“ Unter­schie­de, son­dern auch um sol­che „kon­fes­sio­nel­ler Natur“.

Die Rich­tig­stel­lung des Glau­bens­prä­fek­ten erhielt nicht ein­mal einen Bruch­teil der Auf­merk­sam­keit, die den Fran­zis­kus-Aus­sa­gen zuteil wur­de. Ein sich in frei­er Rede ver­ga­lop­pie­ren­der Papst, den der Glau­bens­prä­fekt hin­ter­her kor­ri­gie­ren muß, gibt ein zwei­fel­haf­tes Bild ab vor den Katho­li­ken, vor den ande­ren Chri­sten und vor der Welt.

Die Rich­tig­stel­lung erfolg­te zudem inof­fi­zi­ell, wes­halb damit zwar gesagt ist, was Leh­re der Kir­che ist, aber kei­nes­wegs, ob Papst Fran­zis­kus das auch denkt. Vor allem konn­te von Kar­di­nal Mül­ler besten­falls ein klei­ner Teil des Scha­dens beho­ben wer­den, den ein ent­schlos­sen vor­pre­schen­der Papst anrichtet.

Ist der von Fran­zis­kus beschlos­se­ne Weg nach Lund ein päpst­li­cher Canos­sa­gang, nach der von Georg May beschrie­be­nen „öku­me­ni­schen“ Rol­len­ver­tei­lung, der­zu­fol­ge die katho­li­sche Kir­che sich ewig schul­dig zu füh­len habe, unter Ankla­ge ste­he und Ent­ge­gen­kom­men zu zei­gen habe, wäh­rend sich die pro­te­stan­ti­sche Sei­te bewe­gungs­los im Part des selbst­er­nann­ten mora­li­schen und histo­ri­schen Sie­gers sieht?

Oder ist die Öku­me­ne, immer nach Georg May, ledig­lich eine Chif­fre für pro­gres­si­ve Katho­li­ken und ihr Pro­gramm zur Pro­te­stan­ti­sie­rung der katho­li­schen Kir­che. Wel­che Posi­ti­on nimmt Papst Fran­zis­kus dazu ein?

Die „Blutökumene“

Fran­zis­kus ver­wies im vori­gen Jahr auf die „Blut­öku­me­ne“ durch das Mar­ty­ri­um der Chri­sten im Nahen Osten. Die vor­rücken­den Dschi­had-Mili­zen töten dort unter­schieds­los Katho­li­ken, Ortho­do­xe und Pro­te­stan­ten. Das schaf­fe, so Fran­zis­kus, eine neue Erfah­rung der Gemein­schaft, der Com­mu­nio.

Vor einem Monat griff Mos­kaus Patri­arch Kyrill I. die­se Aus­sa­ge bei sei­ner Weih­nachts­an­spra­che auf, bei der er über die ver­folg­ten Chri­sten sprach, ohne zwi­schen katho­li­schen und ortho­do­xen Chri­sten zu unter­schei­den. Die Bedeu­tung des christ­li­chen Mar­ty­ri­ums in der isla­mi­schen Welt für die Zukunft der Kir­che läßt sich noch nicht abse­hen. Es ist Teil der Tra­di­ti­on in der Ost- und der West­kir­che, daß das Blut der Mär­ty­rer die Aus­saat für eine neue Blü­te der Kir­che ist.

2016: Ein Jahr der Ökumene? Welcher Ökumene?

Das Jahr 2016 hält vor­erst zwei bedeu­ten­de Öku­me­ne-Etap­pen bereit: am 12. Febru­ar das erste und daher histo­ri­sche Tref­fen zwi­schen einem Papst und einem Mos­kau­er Patri­ar­chen, und am 31. Okto­ber ein nicht min­der histo­ri­sches Ereig­nis, das gemein­sa­me Refor­ma­ti­ons­ge­den­ken von Papst Fran­zis­kus mit dem Luthe­ri­schen Welt­bund im schwe­di­schen Lund.

Fran­zis­kus bestä­tigt damit eine unge­mei­ne Fähig­keit, sich durch immer neue Gesten und Ankün­di­gun­gen in den Schlag­zei­len zu hal­ten. Was die genann­ten und wahr­schein­lich wei­te­ren, bis­her noch nicht bekann­ten Ereig­nis­se inhalt­lich brin­gen wer­den, steht auf einem ganz ande­ren Blatt geschrieben.

Vor allem das Ver­hält­nis des Pro­te­stan­tis­mus zur katho­li­schen Kir­che sei, laut Georg May, nur zu ver­ste­hen, wenn man sich bewußt mache, daß „das anti­ka­tho­li­sche Res­sen­ti­ment unaus­rott­bar“ sei. Wäh­rend die katho­li­sche Kir­che zur Dar­le­gung ihrer gesam­ten Leh­re weder Luther noch die „Refor­ma­ti­on“ brau­che, ist der Pro­te­stan­tis­mus untrenn­bar zur Recht­fer­ti­gung der eige­nen Exi­stenz­be­rech­ti­gung dar­auf ange­wie­sen, die katho­li­sche Kir­che schlecht­zu­ma­chen. Die katho­li­sche Öku­me­ne-Bewe­gung sei daher in der Pra­xis ein „wirk­sa­mes Mit­tel“ zur Protestantisierung.

Die Öku­me­ne ist dabei nur eine der drei Groß­bau­stel­len von Papst Fran­zis­kus, die sich als kon­zen­tri­sche Krei­se zei­gen: die erste Groß­bau­stel­le ist die Katho­li­sche Kir­che selbst, die zwei­te Groß­bau­stel­le ist die Öku­me­ne mit allen Chri­sten und die drit­te Groß­bau­stel­le ist die gesam­te Mensch­heit, wobei der katho­li­sche Papst der ein­zi­ge, wirk­lich welt­wei­te Reli­gi­ons­füh­rer ist und Fran­zis­kus ent­schlos­sen scheint, die­se Posi­ti­on in der Rol­le eines Reli­gi­ons­spre­chers der Mensch­heit aus­fül­len zu wollen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Chie­sa e postconcilio/​MiL (Screen­shots)

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1 Georg May: Der Öku­me­nis­mus als Hebel der Pro­te­stan­ti­sie­rung der katho­li­schen Kir­che, Una Voce Kor­re­spon­denz Heft 5/​1975, Nach­druck Ver­ax-Ver­lag, Müst­a­ir 2000
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