Plädoyer für Sandro Magister und gegen das Gift der neuen Höflinge des Papstes


Sandro Magister
San­dro Magister

(Rom) Der Raus­wurf von San­dro Magi­ster nach 41 Jah­ren als akkre­di­tier­ter Jour­na­list beim Hei­li­gen Stuhl löste unter­schied­lich­ste Reak­tio­nen zwi­schen unbän­di­ger Scha­den­freu­de und Schock­star­re aus. Der Ent­zug der Akkre­di­tie­rung „ist das Schlimm­ste für einen Vati­ka­ni­sten“, schrieb voll Genug­tu­ung die Magi­ster-Geg­ne­rin Fran­ce­s­ca Chaou­qui, die zu den „neu­en Höf­lin­gen“ die­ses Pon­ti­fi­kats gehört. Ihre Fest­stel­lung trifft den Punkt und erklärt die Schock­star­re jener, die sich eine eigen­stän­di­ge Mei­nung außer­halb des Jubel­chors für den argen­ti­ni­schen Pon­ti­fex erlau­ben. Eine Hal­tung, die zuneh­mend zu einem gefähr­li­chen Luxus wird, wenn selbst alt­ge­dien­te und renom­mier­te Vati­ka­ni­sten wie San­dro Magi­ster gna­den­los über die Klin­ge sprin­gen müs­sen. Wäh­rend die Höf­lin­ge in laut­star­ken Freu­den­tau­mel über die Erle­gung ihres „Fein­des“ aus­ge­bro­chen sind, las­sen sich die Stim­men unter den Vati­ka­ni­sten an einer Hand zäh­len, die es wagen, für ihren bis­her hoch ange­se­he­nen Kol­le­gen Par­tei zu ergrei­fen, um eini­ge Din­ge ins rech­te Licht zu rücken.

Anzei­ge

Einer der es öffent­lich getan hat, ist Ric­car­do Cascio­li, der Chef­re­dak­teur der katho­li­schen Inter­net­zei­tung La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na (NBQ). Hier sein Plä­doy­er für San­dro Magi­ster und gegen die „neu­en Höf­lin­ge“ in der katho­li­schen Kirche.

Keine Barmherzigkeit für Magister

von Ric­car­do Cascioli

Das vor­zei­ti­ge Bekannt­wer­den von Doku­men­ten ist nie eine ange­neh­me Sache, den­noch fällt es schwer, zu ver­ste­hen, war­um gera­de die Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung der Enzy­kli­ka Lau­da­to si des Pap­stes um gan­ze zwei Tage den Hei­li­gen Stuhl an den Rand eines Ner­ven­zu­sam­men­bruchs brach­te und eini­ge Vati­ka­ni­sten sogar den Sinn fürs Lächer­li­che ver­lie­ren ließ, indem sie den Vor­fall als ein Kom­plott zum Scha­den von Papst Fran­zis­kus behaupteten.

Um was für ein Kom­plott könn­te es sich je han­deln, weil die Inhal­te einer Enzy­kli­ka zwei Tage frü­her ent­hüllt wer­den? Im Gegen­teil scheint die Initia­ti­ve des Espres­so die Auf­merk­sam­keit für die offi­zi­el­le Pres­se­kon­fe­renz zur Vor­stel­lung der Enzy­kli­ka am 18. Juni um 11 Uhr noch erhöht zu haben. Und sei es nur, um even­tu­el­le Unter­schie­de zwi­schen der schon bekann­ten Fas­sung und der End­fas­sung festzustellen.

Der öffentliche Pranger und giftige Häme für Magister

Und doch wur­de die Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung wie ein Kom­plott behan­delt, so daß das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt sogar die dra­sti­sche Maß­nah­me ergriff und die Akkre­di­tie­rung des lang­jäh­ri­gen Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster, der für den Schul­di­gen des Vor­falls gehal­ten wird, auf unbe­stimm­te Zeit sus­pen­dier­te. Nicht nur das: Das Schrei­ben, mit dem man Magi­ster die Sank­ti­on mit­teil­te, wur­de öffent­lich im Pres­se­amt des Vati­kans aus­ge­hängt und mit gro­ßer Auf­ma­chung vom offi­ziö­sen Nach­rich­ten­blog Il Sis­mo­gra­fo ver­öf­fent­licht. Damit noch nicht genug: als wäre es nicht schon Stra­fe genug, Magi­ster ohne jedes Ver­fah­ren demon­stra­tiv und öffent­lich an den Pran­ger zu stel­len, tauch­ten im Inter­net hau­fen­wei­se gif­ti­ge Kom­men­ta­re von Kol­le­gen und Vati­kan­ver­tre­tern gegen Magi­ster auf.

Magi­ster ist ein sehr bekann­ter Vati­ka­nist. Sei­ne offi­zi­el­le Inter­net­sei­te chiesa.espresso und sein Blog Set­ti­mo Cie­lo sind viel­ge­le­sen und das auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne. Für vie­le Katho­li­ken, aber auch Jour­na­li­sten ist Magi­ster ein wich­ti­ger Bezugs­punkt, um über Ent­wick­lun­gen in der katho­li­schen Kir­che und im Vati­kan infor­miert zu sein, die über die offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen hin­aus­ge­hen. Es ist nahe­lie­gend, daß er sich mit der Zeit auch eini­ge Fein­de gemacht hat. Die Art, wie er nun behan­delt wird, wirft jeden­falls eini­ge Fra­gen auf.

Nichts dergleichen bei Vatileaks – Keine Sperrfrist verletzt

Eugenio Scalfari trat an die Stelle des Papstes und formulierte dessen Antworten gleich selbst - straffrei
Euge­nio Scal­fa­ri trat an die Stel­le des Pap­stes und for­mu­lier­te des­sen Ant­wor­ten gleich selbst – straffrei

Vor allem, weil es kei­ne ver­gleich­ba­ren Sank­tio­nen im Zusam­men­hang mit dem Vati­leaks-Skan­dal gab, als zahl­rei­che per­sön­li­che und ver­trau­li­che Doku­men­te vom Schreib­tisch von Papst Bene­dikt XVI. gestoh­len und ver­öf­fent­licht wur­den und einen Skan­dal ver­ur­sach­ten. Im Ver­gleich dazu ist die Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung einer öffent­li­chen Enzy­kli­ka gera­de­zu lächer­lich. Zudem kann Magi­ster besten­falls indi­rekt für die Ver­öf­fent­li­chung ver­ant­wort­lich gemacht wer­den, denn das Exem­plar des Enzy­kli­ka-Ent­wurfs – wie von Anfang an gesagt wur­de – war auf dem Tisch des Espres­so-Chef­re­dak­teurs gelan­det, der die Ver­öf­fent­li­chung ent­schied und Magi­ster bat, eine kur­ze Ein­lei­tung zu schreiben.

Letzt­lich kann man nicht ein­mal von einer Ver­let­zung der Sperr­frist spre­chen, wie der ame­ri­ka­ni­sche Vati­ka­nist John Allen anmerk­te. Eine Sperr­frist gibt es, wenn ein Doku­ment vor­ab Jour­na­li­sten aus­ge­hän­digt wird, um ihnen Zeit zu geben, es zu lesen und sich für die Ver­öf­fent­li­chung vor­zu­be­rei­ten. In der Pra­xis heißt das: Ich gebe dir im vor­aus ein Doku­ment und du ver­pflich­test dich dafür, nicht vor einem fest­ge­leg­ten Zeit­punkt dar­über zu spre­chen. Im kon­kre­ten Fall hat­te der Hei­li­ge Stuhl jedoch ent­schie­den, was unge­wöhn­lich und wenig erfreu­lich ist, die Enzy­kli­ka erst weni­ge Stun­den vor der Pres­se­kon­fe­renz zu über­rei­chen. Kein Jour­na­list hat sie daher offi­zi­ell erhal­ten und war daher an eine fest­ge­leg­te Sperr­frist gebun­den. Eine mora­li­sche Ver­pflich­tung des Espres­so-Chef­re­dak­teurs wäre nur gege­ben, falls die unsicht­ba­re Hand, die ihm den Text zuge­spielt hat, von ihm die Ein­hal­tung der Sperr­frist 18. Juni ver­langt hät­te. Was aber höchst unwahr­schein­lich erscheint.

Trotz­dem ent­lud sich über Magi­ster der Zorn des Vati­kans: kei­ne mil­dern­de Umstän­de, kei­ne Barm­her­zig­keit, nur öffent­li­che Schan­de und die Ver­ja­gung aus dem Olymp der Vatikanisten.

Keine Gnade für Magister – Belohnung für Eugenio Scalfari

Ganz anders ver­hielt man sich mit dem alten Fuchs Euge­nio Scal­fa­ri, als die­ser zwei Inter­views mit Papst Fran­zis­kus ver­öf­fent­lich­te. Eines im Okto­ber 2013, das ande­re im Juli 2014. Bei­de ver­ur­sach­ten nicht gerin­ge Ver­wir­rung in der Kir­che. Dann wur­de bekannt, daß Scal­fa­ri beim ersten Inter­view gan­ze Sät­ze dem Papst in den Mund leg­te, die die­ser nie gesagt hat­te. Und daß das zwei­te Inter­view gar nie ver­öf­fent­licht wer­den hät­te sol­len, weil Scal­fa­ri sich ver­pflich­tet hat­te, nicht öffent­lich über die­ses Pri­vat­ge­spräch mit dem Papst zu spre­chen. Die ein­zi­ge Maß­nah­me gegen Scal­fa­ri war eine öffent­li­che Erklä­rung des Hei­li­gen Stuhls. Ganz im Gegen­teil. Scal­fa­ri wur­de für die bei­den Inter­views sogar noch belohnt. Bei­de wur­den vor eini­gen Mona­ten in einem offi­zi­ell im Vati­kan­ver­lag Lev erschie­ne­nen Buch abgedruckt.

Abrechnung mit einem, der nicht in den Chor der Lobhudelei einstimmte

Chaouqui's Schadenfreude über Magisters-Rauswurf
Die Scha­den­freu­de der päpst­li­chen Kom­mis­sa­rin Chaou­qui über Magi­sters Rauswurf

Man kann daher ver­nünf­ti­ger­wei­se anneh­men, daß Magi­ster nicht so sehr für die Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung der Enzy­kli­ka bezahlt, son­dern für sei­ne kon­stan­te Infor­ma­ti­ons­tä­tig­keit, mit der er sich bemüht, Hin­ter­grün­de zu erhel­len und Ent­schei­dun­gen und Aus­sa­gen auf eine Wei­se zu beleuch­ten, die nicht dem Chor der Lob­hu­de­lei ent­spricht, der die­ses Pon­ti­fi­kat umgibt und beschä­digt. Der Vor­fall mit der Enzy­kli­ka ist nur ein Vor­wand, um mit einem füh­ren­den Jour­na­li­sten abzu­rech­nen, der jedoch als Bezugs­punkt für den Wider­spruch gilt. Ein prä­zi­ses Signal, das von den neu­en Höf­lin­gen an alle aus­ge­sen­det wird, die zu hin­ter­fra­gen wagen, und das nach einer alten Stra­te­gie: einen schla­gen, um hun­dert zu belehren.

Es ist daher kein Zufall, daß jene, die das Gift gegen Magi­ster aus­streu­en, zu den begei­ster­ten Anhän­gern der neu­en Barm­her­zig­keit gehö­ren. Dazu gehö­ren auch sol­che, die sich von Amts wegen und auf­grund ihrer insti­tu­tio­nel­len Posi­ti­on von einer gewis­sen Unbe­herrscht­heit fern­hal­ten soll­ten. Die als PR-Exper­tin für eine Päpst­li­che Kom­mis­si­on enga­gier­te Fran­ce­s­ca Imma­co­la­ta Chaou­qui, die es Magi­ster nie ver­zie­hen hat, daß er ihre Nei­gung zu all­zu gro­ßer Gesprä­chig­keit publik mach­te, schrieb gleich nach Bekannt­wer­den von Magi­sters Abstra­fung auf Facebook:

Der Ein­trag endet mit den Wor­ten: „Alles Gute San­dro, Ex-Vati­ka­nist“. Jeder wei­te­re Kom­men­tar ist über­flüs­sig. Recht hat Chaou­qui nur mit der Fest­stel­lung, daß der Ent­zug der Akkre­di­tie­rung „das Schlimm­ste für einen Vati­ka­ni­sten“ ist.

Wetten, daß L’Espresso bereits die Endfassung veröffentlichte

Der Ein­trag gibt Zeug­nis davon, daß die Gift­sprit­ze­rei im Vati­kan alles ande­re als Ver­gan­gen­heit ist. Das belegt auch ein wei­te­res Signal: Il Fat­to Quo­ti­dia­no nann­te mit Sicher­heit das Staats­se­kre­ta­ri­at als Quel­le der Kopie, die dem Espres­so zuge­spielt wur­de. Eben­so behaup­te­te die Tages­zei­tung, es hand­le sich dabei um einen angeb­li­chen Sabo­ta­ge­akt „Kon­ser­va­ti­ver“ gegen Papst Fran­zis­kus. Eine Infor­ma­ti­on, die sicher nicht zufäl­lig gestreut wur­de. Sie scheint viel­mehr eine Ankün­di­gung dafür, daß wir dem­nächst noch ganz ande­res erle­ben werden.

NB: Der Vati­kan­spre­cher Pater Lom­bar­di erklär­te, daß es sich bei der vom Espres­so ver­öf­fent­li­chen Fas­sung nur um einen Ent­wurf der Enzy­kli­ka und noch nicht um die End­fas­sung han­delt. Damit gab er zu ver­ste­hen, daß der Text wei­te­re Ände­run­gen erfah­ren hat. Wir sind aber bereit, eine Wet­te ein­zu­ge­hen, daß der ver­öf­fent­lich­te Text bereits die End­fas­sung dar­stellt. Am Don­ners­tag wer­den wir es wissen.

Text: Ric­car­do Cascioli/​NBQ
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: RAI1/​Dagospia/​Facebook (Screen­shots)

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4 Kommentare

  1. Herr Magi­ster wird eines Tages,vielleicht in nicht all­zu fer­ner Zukunft,froh sein und Gott danken,diesem „neu­en “ Vati­kan nicht mehr anzugehören.
    Wenn es anfängt,soll man doch „die Stadt“ verlassen,war es nicht so!?

  2. Die hofier­te Intri­gan­tin Fran­ce­s­ca Chaou­qui offen­bar bei ihrer Lieb­lings­be­schäf­ti­gung; des ( von Papst Fran­zis­kus doch so ange­pran­ger­ten ) unver­hoh­len scha­den­freu­di­gen und gif­ti­gen Tratsches.
    Heu­te bei „glo­riatv global“:
    Eigent­lich kaum erstaun­lich; auch auf sol­che „Quel­len“ beruft such die Enzyklika:
    -
    ‚Vati­kan. Die am Mon­tag durch­ge­sicker­te Umwelt­en­zy­kli­ka von Papst Fran­zis­kus beruft sich auf zwei­fel­haf­te Quel­len. Eine Fuss­no­te zitiert den 1955 ver­stor­be­nen hete­ro­do­xen Jesui­ten Pierre Teil­hard de Char­din, des­sen The­sen inzwi­schen über­holt sind. Eine ande­re Fuss­no­te erwähnt den mos­le­mi­schen Sufi Ali Al-Khaw­was. Er wird als – Zitat: „geist­li­cher Mei­ster“ bezeichnet“
    -

  3. In Zei­ten, wo die wah­ren Chri­sten alle, einer nach dem ande­ren, uner­bitt­lich auf die Pro­be gestellt wer­den, sind nun abso­lut unüber­seh­bar angebrochen.

    Es spricht nur für San­dro Magi­ster, wenn er nun auch zu die­sem „erle­se­nen“ Kreis gehört.
    (Und kei­ne Sor­ge, wenn ein­mal die guten Vati­ka­ni­sten alle feh­len wer­den, will das nur hei­ßen, dass es nichts mehr gutes vom Vati­kan zu berich­ten gibt – so ein­fach ist die­se Rechnung.)

    Sie kön­nen zwar den mate­ri­el­len Papst­trohn steh­len, aber natür­lich nie­mals die gei­sti­gen Schlüs­sel, die Petrus I. anver­traut wurden!

  4. Fran­ce­s­ca C. irrt natür­lich in einem Punkt. Auch wenn San­dro Magi­ster nicht mehr akkre­di­tiert ist, so bleibt er den­noch Vati­ka­nist. Ich hof­fe und ver­traue dar­auf, dass San­dro Magi­ster auch ohne Akkre­di­tie­rung sei­ne exzel­len­ten Quel­len erhal­ten blei­ben. Und dass er den offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen nicht mehr bei­woh­nen und dort kei­ne Fra­gen mehr stel­len darf, wird er ange­sichts des­sen sicher leicht verschmerzen.

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