(Vatikan) Gegen die Linie Kasper formiert sich langsam Widerstand. Nach Erzbischof Carlo Kardinal Caffarra von Bologna in der Tageszeitung Il Foglio und Kardinal Walter Brandmüller in der Tageszeitung Die Tagespost hat ein dritter Purpurträger öffentlich und gründlich zur Frage der wiederverheiratet Geschiedenen Stellung bezogen. Und auch er wandte sich dabei gegen die Thesen von Kardinal Walter Kasper, der auf Wunsch des Papstes einziger Referent beim jüngsten Kardinalskonsistorium vom 20. und 21. Februar war. Kasper konnte daher seinen Standpunkt aus einer privilegierten Position darlegen.
Eine Position, die ihm in der öffentlichen Diskussion einen erheblichen Vorsprung sicherte. Oder zumindest gesichert hätte, wenn ihm der Historiker Roberto de Mattei nicht sofort mit einem fundierten Widerspruch entgegengetreten wäre. Nicht zufällig war es der deutsche Kardinal Brandmüller, der dem deutschen Kardinal Kasper als erster unter den Purpurträgern öffentlich widersprach. Man kennt sich und ist desillusionierter.
De Paolis ausführliche Streitschrift gegen Walter Kasper
Nun hat auch Kardinal Velasio De Paolis zur Feder gegriffen, um mit Kasper in der Auseinandersetzung die Klinge zu kreuzen. Der namhafte Kirchenrechtler ist emeritierter Präfekt der Präfektur für die ökonomischen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls und war bis Jahresbeginn Apostolischer Delegat der Legionäre Christi. Der Kardinal bekundete mehrfach seine Wertschätzung für Papst Franziskus.
De Paolis nützte am vergangenen 27. März die Eröffnung des neuen Gerichtsjahres am Kirchengericht Umbriens, um gegen Kardinal Kasper in den Ring zu steigen. Der Titel seiner Rede lautete: „Die wiederverheiratet Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße“.
Die Replik De Paolis ist umfangreicher als das Referat Kaspers vor den Kardinälen. Auf 40 Seiten, die vom Kirchengericht vollinhaltlich im Internet veröffentlicht wurden, wird die Absicht des Kardinals aus dem Orden der Missionare vom Heiligen Karl Borromäus (CS) auch Scalabrianer genannt, deutlich, seinem Mitbruder auf ganzer Linie entgegenzutreten.
Unterstützung für De Paolis von Neo-Kardinal Bassetti
„Moderator“ des Kirchengerichts von Umbrien ist Erzbischof Gualtiero Bassetti von Perugia, den Papst Franziskus zum stellvertretenden Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz und zum Kardinal machte. Erzbischof Bassetti war nicht nur der einzige residierende Italiener, der bisher von Papst Franziskus zum Kardinal kreiert wurde. Als Erzbischof von Perugia steht er einer Diözese vor, deren Bischofsstuhl nicht gemäß Konkordat mit der Kardinalswürde verbunden ist, wie Venedig und Turin, deren Amtsinhaber hingegen leer ausgingen.
Es war Neo-Kardinal Bassetti, der De Paolis einlud, die Eröffnungsrede zu halten. Es war auch Bassetti, der am 27. März De Paolis im Festakt das Wort erteilte und schon vorab sagte, daß die Ausführungen De Paolis „wertvoll und sehr aktuell und für uns alle eine wirkliche Bereicherung“ sind.
„Was ist zur Frage von Kardinal Kasper zu sagen?“
Kardinal De Paolis faßte die Thesen Kaspers zusammen, um sie zu widerlegen: „Was ist zur Frage zu sagen, die Kardinal Kasper am 21. Februar 2014 beim Konsistorium stellte?“ Laut Kasper sei der Weg der Kirche ein Mittelweg zwischen Strenge und Laxheit, ein Weg der Reue, der zuerst im Bußsakrament und dann im Sakrament der Eucharistie mündet. Kasper habe sich gefragt, ob dieser Weg auch für die wiederverheiratet Geschiedenen gangbar sei und Voraussetzungen genannt, unter denen es seiner Meinung nach möglich sei. Kasper nannte fünf Bedingungen und warf in Frageform auf, ob den wiederverheiratet Geschiedenen die Kommunion auch dann noch verweigert werden könne, wenn sie diese Bedingungen erfüllen. Wobei Kasper deutlich erkennen habe lassen, die Zulassung zur Kommunion für möglich zu halten und zu wünschen.
Kasper stellte seine „Öffnung“ zwar als Ausnahme dar, die nicht eine allgemeine Regel werden solle. Eine Einschränkung, die jedoch mehr der Durchsetzung des gesteckten Ziels zu dienen scheint, den wiederverheiratet Geschiedenen den Zugang zur Kommunion zu öffnen. Als Argument brachte der deutsche Kardinal auch vor, wiederum in Frageform, ob dadurch nicht Schlimmeres abgewendet werden könnte, wie der Verlust einer ganzen Generation, nämlich der Kinder der wiederverheiratet Geschiedenen. „Das Leben besteht nicht nur aus schwarz und weiß, sondern aus vielen Schattierungen“, so Kasper mit einem wenig originellen, aber trendigen Allgemeinplatz.
„Keine positive Antwort möglich“
Darauf replizierte Kardinal De Paolis: „Abgesehen von den guten Absichten, scheint auf diese Frage keine positive Antwort möglich zu sein. Abgesehen von den verschiedenen Situationen, in denen sich die wiederverheiratet Geschiedenen befinden, ist allen diesen Situationen aber dasselbe Problem gemeinsam: die Unzulässigkeit eines Zusammenlebens ‚more uxorio‘ zwischen zwei Personen, die nicht durch ein wirkliches Eheband miteinander verbunden sind. Die standesamtliche Ehe ist in Wirklichkeit kein Eheband. Gemäß kirchlicher Lehre hat sie nicht einmal den Anschein einer Ehe, weshalb die Kirche von einem Angriff gegen die Ehe spricht. Angesichts einer solchen Situation ist nicht ersichtlich, wie ein Geschiedener die sakramentale Lossprechung erhalten könnte, um Zugang zur Eucharistie zu bekommen. Um für wiederverheiratet Geschiedenen den Zugang zur Eucharistie zu rechtfertigen, werden oft Begründungen angeführt, die mehr den Anschein von Gutmütigkeit und Legitimation haben.“
Kaspers „Abirrung“ – „Mißverstandene“ Pastoral und Barmherzigkeit
Unter diesen „Begründungen“ nennt Kardinal De Paolis „Seelsorge“ und „Barmherzigkeit“. Gegen die damit verbundenen „Mißverständnisse“ nimmt der Kardinal ausführlich Stellung, die mit einer ziemlich deutlichen Anspielung auf den berühmt-berüchtigten Satz von Papst Franziskus „Wer bin ich, um zu urteilen?“ endet.
„Oft und zu recht sagt man, daß wir nicht gerufen sind, die Menschen zu verurteilen. Das Urteil steht in der Tat Gott zu. Eine Sache aber ist es, zu verurteilen, eine ganz andere, eine Situation moralisch zu bewerten, um zu unterscheiden, was gut und was böse ist; um zu prüfen, ob etwas dem Plan Gottes für den Menschen entspricht oder nicht. Diese Bewertung ist zwingend notwendig. Angesichts der verschiedenen Lebenssituationen, wie jener der wiederverheiratet Geschiedenen kann und muß man sagen, daß wir nicht verurteilen, sondern helfen müssen. Wir können uns aber nicht darauf beschränken, nicht zu verurteilen. Wir sind gerufen, diese Situation im Licht des Glaubens und des göttlichen Plans, des Wohls der Familie, der betroffenen Personen und vor allem von Gottes Gesetz und seiner Liebe zu bewerten. Andernfalls laufen wir Gefahr, nicht mehr imstande zu sein, das Gesetz Gottes zu schätzen. Mehr noch, es geradezu für ein Übel zu halten, da wir ja die Schuld an allem Übel einem Gesetz geben. Aufgrund einer gewissen Darstellung der Dinge scheint es gerade so, als würde es uns besser gehen, wenn es das Gesetz der Unauflöslichkeit der Ehe nicht gäbe. Eine Abirrung, die die Fehlentwicklungen in der Art wie wir denken und argumentieren erkennen läßt.“ Soweit ein Auszug aus Kardinal De Paolis Zurückweisung von Kaspers Thesen.
Es wird in Italien allgemein damit gerechnet, daß Papst Franziskus Kardinal Bassetti demnächst zum neuen Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz macht. Bereits seine Ernennung zum stellvertretenden Vorsitzenden wurde als Entmachtung des amtierenden Vorsitzenden Kardinal Angelo Bagnasco gewertet.
Nicht dieser Meinung ist inzwischen der Vatikanist Sandro Magister. Er geht davon aus, daß Kardinal Bagnasco bis zum regulären Ende der Amtszeit 2017 im Amt bleibt. Magister ist es auch, der Bassetti in die Gruppe des Widerstandes gegen Kardinal Kasper einreiht, weil er Kardinal De Paolis nach Perugia rief und dessen eindeutige Ablehnung gegen Kaspers-Thesen bereits vorab kannte und guthieß, wie aus seinen Worten zur Begrüßung und Ankündigung De Paolis hervorgeht.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons