(Marseille) In Marseille, in einem Stadtviertel gleich hinter dem Alten Hafen ist ein Priester als Pfarrer tätig, der inzwischen mediales Interesse auf sich zieht. Die Heiligen Messen, die er zelebriert, sind überfüllt. Er sitzt jeden Abend bis spät in die Nacht hinein im Beichtstuhl. Unter den Getauften in seiner Pfarrei befinden sich viele Konvertiten. Er trägt immer den Talar, damit ihn alle jederzeit und überall auch schon aus der Ferne als Priester erkennen.
Michel-Marie Zanotti-Sorkine wird 1959 in Nizza geboren. Seine Familie ist teils korsischer, teils italienischer, teils russischer, teils jüdischer Abstammung, wie die beiden Familiennamen erkennen lassen. Sein Großvater, ein nach Frankreich eingewanderter russischer Jude, ließ seine Kinder vor dem Krieg taufen. Eine der Töchter, die dem Holocaust entgangen waren, brachte Michel-Marie zur Welt. Väterlicherseits ist er hingegen italienisch-korsischer Herkunft. Als junger Mann singt er in Pariser Nachtlokalen, doch im Lauf der Jahre bricht in ihm die Berufung zum Priestertum durch, die er bereits als Kind das erste Mal verspürte. Pater Joseph-Marie Perrin, der geistliche Beistand von Simone Weil, und Pater Marie-Dominique Philippe, der Gründer der Johannesgemeinschaft werden seine geistlichen Begleiter.
Wie Sakramente wirken: „Aus oberflächlicher Taufe meiner Mutter ist ein Priester erwachsen“
Zanotti-Sorkine studiert an der Päpstlichen Universität St. Thomas von Aquin des Dominikanerordens, besser bekannt als Angelicum in Rom. Er interessiert sich für den Dominikanerorden, dann für den Franziskanerorden, für den er einige Zeit nach Rumänien geht. Schließlich entscheidet er sich jedoch 1997 für das Weltpriestertum. 1999 wird er von Bernard Kardinal Panafieu, damals Erzbischof von Marseille zum Priester geweiht. Er schreibt Bücher, von denen das bisher jüngste seinen Mitbrüdern im Priesteramt gewidmet ist und Au diable la tiédeur heißt, will sagen „Zum Teufel mit der Lauheit“. Seit 2004 ist Zanotti-Sorkine Pfarrer von Saint-Vincent de Paul in seiner Heimatstadt. In der Pfarrkirche an der Rue Canabià¨re, die zum Alten Hafen führt, sieht man aufgelassene Geschäftslokale und zahlreiche Clochards, Einwanderer, die den Eindruck mehr einer maghrebinischen als einer französischen Stadt vermitteln, und Zigeuner unterschiedlicher Provenienz. Touristen verirren sich selten in diesen Teil der Stadt, wie das auch für bestimmte Teile Neapels oder Palermos gilt. In Marseille und einem Frankreich, in dem die christliche Glaubenspraxis einen Tiefpunkt erreicht hat, blüht in der Pfarrei von Pfarrer Michel-Marie der katholische Glauben auf.
Der Frage, wie das möglich ist, ging die Journalistin Marina Corradi nach. „Pfarrer Michel Marie ist ein freundlich lächelnder Mann, der dennoch etwas Reserviertes an sich hat, etwas Mönchisches. Hört man von seiner bizarren Abstammung, betrachtet man erstaunt sein Gesicht und sucht zu ergründen, wie denn ein Mann mit einem solchen Knäuel an Wurzeln wohl ist. Aber wenn man an einem Sonntag in seine überfüllte Kirche tritt und hört, wie er über Christus spricht und wenn man die religiöse Innigkeit des Tempos bei der Elevation der Hostie beobachtet, während in der Kirche absolute Stille herrscht, fragt man sich, wer dieser Priester ist, und was an ihm fasziniert und selbst jene zurückkehren läßt, die fernstehen.“
Die Mutter, getauft, aber eigentlich nur der Form nach katholisch, erlaubte dem Sohn, die katholische Kirche zu besuchen. Vom Glauben „angesteckt“ wurde er schon als Kind durch einen „alten Pater, einen Salesianer im schwarzen Talar, einen Mann von großem und großherzigem Glauben“, so Pfarrer Michel-Marie.
Der Talar „macht mich für alle sofort erkennbar, immer, überall, vor allem für jene, die nicht glauben“
Warum der Talar? „Das ist meine Arbeitskleidung“, lacht der Priester. Es ist ein Zeichen für alle, die mir begegnen und vor allem für die, die nicht glauben. So bin ich als Priester erkennbar, immer. So kann ich auf der Straße jeden Augenblick nützen, um Freundschaften zu schließen und jemanden kennenlernen, den ich sonst wahrscheinlich nie kennenlernen würde. Jenen Unbekannten, der mir besonders kostbar ist. ‚Hochwürden‘, fragt mich dann einer, ‚wo ist die Post?‘ ‚Kommen Sie, ich begleite Sie‘, antworte ich dann, und plaudernd erfahre ich, daß die Kinder des Mannes noch nicht getauft sind. Gestern hat mich in einer Gaststätte ein alter Mann sogar gefragt, auf welche Pferde er setzen soll. Ich habe ihm einige genannt. Anschließend bat ich die Gottesmutter um Verzeihung: aber weißt Du, habe ich ihr gesagt, es war, um Freundschaft mit diesem Mann zu schließen. Ein Priester, der mein Lehrmeister war, antwortete, als man ihn fragte, wie man die Marxisten bekehren könne: ‚Indem man ihr Freund wird‘“.
In der Kirche erlebt man eine strenge und feierliche Liturgie. Pfarrer Zanotti-Sorkine gehört zu den Kritikern des auch in Frankreich verbreiteten kreativen Entertainments in der Liturgie. Warum er die Liturgie besonders pflegt, wird er gefragt. „Weil alles rund um die Eucharistie leuchtend sein soll. Die Menschen sollen bei der Elevation erkennen, daß Er hier wirklich anwesend ist. Es ist kein Theater, kein überflüssiger Pomp: hier wohnt das Mysterium. Auch das Herz muß es spüren.“
Kritiker eines liturgischen Entertainments – „Zum Teufel mit der Lauheit“
Pfarrer Michel-Marie betont besonders die Verantwortung des Priesters. Diesem Thema widmete er sein jüngstes, im Oktober erschienenes Buch Zum Teufel mit der Lauheit, von dem bereits mehr als 15.000 Exemplare verkauft wurden. Geschrieben hat er schon mehrere, und er schreibt weiter, manchmal auch noch Lieder. Seine jüngste CD mit Liedern über den Glauben erschien 2011 mit dem Titel Une idée folle. Wenn ein Priester vor einer leeren Kirche steht, müsse er zuallererst sich selbst prüfen und fragen: „Fehlt mir das Feuer?“, so der Pfarrer der Rue Canabià¨re. Warum? „Weil der Priester ein alter Christus ist, wenn er am Altar steht. Das heißt nicht, daß wir perfekt sind, sondern zuallererst, daß wir uns unserer Sünden und unseres Elends bewußt werden, um daraus im Beichtstuhl die anderen verstehen und ihnen ihre Sünden vergeben können.“
Jeden Tag im Beichtstuhl, denn „Christus ist der einzige, der Leben verändern kann“
Jeden Abend sitzt Pfarrer Michel-Marie im Beichtstuhl, absolut pünktlich, immer ab 17.00 Uhr. „Die Menschen müssen wissen, daß der Priester da ist.“ Bis 23 Uhr bleibt er in der Kirche für alle erreichbar und alle sollen das wissen. „Das zahlreiche Kommen und Gehen der Gläubigen an den Abenden zeigt, daß die Beichte wie eine große Sehnsucht aus dieser pulsierenden, anscheinend so fernstehenden Großstadt aufsteigt“, so Marina Corradi. Was wollen diese Menschen? „Das Erste ist, gesagt zu bekommen: Du bist geliebt. Das Zweite: Gott hat etwas vor mit Dir. Es ist wichtig, daß sie sich angenommen fühlen. Dann gilt es ihnen klarzumachen, daß der einzige der ihr Leben verändern kann, Christus ist. Und Maria. Zwei Dinge ermöglichen meiner Ansicht nach die Rückkehr zum Glauben: die marianische Umarmung und eine leidenschaftliche Apologetik, die die Herzen berührt“, so Pfarrer Michel-Marie.
„Wer mich sucht, sucht zunächst vor allem eine menschliche Hilfe und ich versuche möglichst zu helfen. Der Bettler braucht etwas zu Essen, aber er hat auch eine Seele. Zur verletzten Frau sage ich: schick mir Deinen Mann, ich rede mit ihm. Aber dann, wenn sie kommen und sagen, sie sind traurig, es geht ihnen nicht gut … Dann frage ich: Wann haben Sie das letzte Mal gebeichtet? Weil ich weiß, daß die Sünde lastet und die Trostlosigkeit der Sünde quält. Ich konnte erkennen, daß das, was viele Menschen leiden läßt, das Fehlen der Sakramente ist. Ohne diese Nahrung, die Gnaden wirkt und die die Menschen verändert, können wir nicht leben.“ Er könne immer besser Papst Benedikt XVI. verstehen, so der Priester, wenn dieser betone, daß „wir wieder bei Christus beginnen müssen“.
Eine große Liebe zu Maria und dem Rosenkranz
Seine Tage verschenkt der Pfarrer auf den Straßen oder im Beichtstuhl bis in die Nacht hinein. Woher nimmt er die Kraft? Fast verschämt, wie man von der großen Liebe spricht, spricht auch er von seiner großen Liebe: Maria. „Maria ist der vollkommene Glaubensakt unter dem Kreuz. Maria ist absolutes Mitleid. Sie ist dem Menschen geschenkte reinste Schönheit.“ Und Pfarrer Michel-Marie liebt den Rosenkranz, den er häufig betet, besonders auch im Beichtstuhl.
Ob er Probleme hat auf den Straßen, die von moslemischen Einwanderern bevölkert sind? Nein, sagt er: „Sie respektieren mich und den Talar.“ Ich nehme alle in meiner Kirche auf, auch die Prostituierten.“ Gott wirke durch die Sakramente heiligend und reinigend. „Als mein Großvater meine Mutter taufen ließ, war das eigentlich nur ein oberflächlicher Akt und dennoch ist daraus ein Priester erwachsen.“
„Als wir uns vor dem Pfarrhaus verabschiedet hatten“, so Marina Corradi, „sehe ich diesen Mann im schwarzen Gewand und mit schnellem Schritt schon wieder die Straße hinuntergehen und in die Menschenmenge eintauchen auf der Suche nach der Begegnung mit dem noch ‚unbekannten Freund‘ für Christus“, den er für das Reich Gottes gewinnen will.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi
Huch, wie altmodisch! – Meine Güte, wie beeindruckend!
Ist es denn ganz und gar anachronistisch, wenn ich mir mehr solcher Priester wünsche, auch hier bei uns.
Ich weiß, nicht alle können diesem hohen Ideal entsprechen und nicht jeder Priester muss im Talar gehen.
Er kann ein sehr guter Priester auch im modernen Gewand sein.
Dennoch!
Solch ein Mensch vermittelt in unserer Welt, in der alles so schrecklich austauschbar scheint, ein starkes, wirkmächtiges Bild, das mit Sicherheit seine Spuren in den Herzen der anderen hinterlässt.
Ich bin froh, diesen Priester – wenn auch nur durch Ihren Bericht – kennengelernt zu haben.
Danke!
Die Hw. H. Krawattenpriester tragen offen das Zeichen ihres Ungehorsams vor sich her.
Jeder Filmregiesseur, jeder Mensch bis ins vordere Hinterbelutschistan weiß, wie ein katholischer Priester auszusehen hat. Warum wollen die Hochwürdigen Herren das nicht sehen?
Ein schöner und ermutigender Beitrag, gerade auch für dienjenigen, die in der fernsten Diaspora leben. Man bekommt eine Ahnung, wer und was auch heute ein wahrer Priester sein könnte, der die Menschen auf ihrem Weg begleitet und in der Ruhe seinen Dienst versieht. Und der den Menschen nachgeht, wenn sie sich verirren.
Tröstlich zu wissen, dass es so Einen irgendwo geben könnte.
Danke für diesen schönen und bewegenden Beitrag, den ich selbst auch als Ermutigung lese.
Danke für dieses tolle Zeugnis, es zeigt, dass Priester die radikal in ihrer Nachfolge sind-das heißt leidenschaftlich den Herrn lieben und auch den Menschen mit dieser Barmherzigkeit begegnen viel bewirken können. Er ist für mich wie ein zweiter Pfarrer von Ars.
Er gibt sich hin für seine Schafe.Betet, opfert, liebt, hört Beichte, spendet die Sakramente und ist immer offen auf Gottes Stimme zu hören.
Wenn wir seinem Bespiel folgen werden wir auch Menschen für Jesus begeistern.
In Marseille gibt es zahllose Indult- und Pius-Kirchen und Messzentren die genauso überfüllt sind. Die „Johannesgemeinschaft“ predigt dagegen seit 1974 eine Anpassung an die konziliare Kirchengemeinschaft im „neokonservativen“ Stil. Leider ist es also nicht das wahre und authentische römisch-katholische Pfarrleben, so sehr er sich auch die Mühe gibt vielleicht. Abstammung ist doch vollkommen unwichtig. Ein Pater Floriano Abrahamowicz hat das gleiche.