Universität Stuttgart wünscht keine Völkermord-Gedenkveranstaltung

(Stutt­gart) Am 25. Mai 2011 lehn­te der Rek­tor der Uni­ver­si­tät Stutt­gart, Prof.-Dr. Ing. Wolf­ram Res­sel, kurz­fri­stig einen bereits am 5. April 2011 von der Uni­ver­si­tät zunächst vor­ge­merk­ten Antrag auf Raum­ver­ga­be ab. Der Raum war für eine Gedenk- und Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung „Ver­fol­gung, Ver­trei­bung und Ver­nich­tung der Chri­sten im Osma­ni­schen Reich 1912–1922“ am 28. Mai 2011 bean­tragt worden.

Der Gedenk­abend wird vom Ver­band der Ver­ei­ne der Grie­chen aus Pon­tos in Euro­pa e.V. zusam­men mit der Assy­ri­schen Demo­kra­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on – Sek­ti­on Mit­tel­eu­ro­pa sowie der Arbeits­grup­pe Aner­ken­nung – Gegen Geno­zid, für Völ­ker­ver­stän­di­gung e.V. orga­ni­siert. Bei allen drei Orga­ni­sa­to­ren han­delt es sich um Ver­bän­de bzw. Ver­ei­ne, die in Deutsch­land als gemein­nüt­zig aner­kannt sind.

Zur Begrün­dung für sei­ne kurz­fri­sti­ge Absa­ge nann­te der Rek­tor gegen­über einer Orga­ni­sa­to­rin nicht näher spe­zi­fi­zier­ten tür­ki­schen „Pro­test aus Ber­lin“ bzw. den Wunsch, als Uni­ver­si­tät neu­tral zu bleiben.

Die betrof­fe­nen Ver­bän­de hal­ten es äußerst bedenk­lich, wenn fast ein­hun­dert Jah­re nach dem Geno­zid an Arme­ni­ern, Assyrern/​Aramäern sowie Grie­chen im dama­li­gen Osma­ni­schen Reich eine deut­sche Uni­ver­si­tät nicht den Mut auf­bringt, einen Raum für eine Gedenk- und Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung zu ver­mie­ten, die der Auf­ar­bei­tung die­ser Ver­bre­chen und damit der Prä­ven­ti­on künf­ti­ger Völ­ker­mor­de die­nen soll.

„Bei Ver­bre­chen besteht grund­sätz­lich kei­ne Mög­lich­keit des Rück­zugs auf ver­meint­lich neu­tra­le Posi­tio­nen. Der Umstand, daß die Tür­kei offi­zi­ell bis heu­te den Geno­zid an über drei Mil­lio­nen osma­ni­schen Staats­bür­gern christ­li­chen Glau­bens bestrei­tet und des­sen öffent­li­che Erör­te­rung auch im Aus­land nach Mög­lich­keit zu unter­bin­den trach­tet, kann zudem nicht hand­lungs­lei­tend für eine deut­sche Uni­ver­si­tät sein.“

Die Absa­ge der Uni­ver­si­tät Stutt­gart steht im Wider­spruch zum Beschluß des Deut­schen Bun­des­ta­ges vom 16. Juni 2005, in dem sich der deut­sche Gesetz­ge­ber vor dem Hin­ter­grund der histo­ri­schen Mit­ver­ant­wor­tung Deutsch­lands ein­stim­mig zur Geschichts­auf­ar­bei­tung als Vor­aus­set­zung für Hei­lung und Ver­söh­nung aus­ge­spro­chen hat:

„Der Deut­sche Bun­des­tag ist sich aus lan­ger eige­ner Erfah­rung dar­über bewußt, wie schwer es für jedes Volk ist, zu den dunk­len Sei­ten sei­ner Ver­gan­gen­heit zu ste­hen. Er ist aber fest davon über­zeugt, daß eine ehr­li­che Auf­ar­bei­tung der Geschich­te not­wen­dig ist und die wich­tig­ste Grund­la­ge für Ver­söh­nung dar­stellt. Dies gilt ins­be­son­de­re im Rah­men einer euro­päi­schen Kul­tur der Erin­ne­rung, zu der die offe­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit den dunk­len Sei­ten der jewei­li­gen natio­na­len Geschich­te gehört. (…) Auch Deutsch­land, das mit zur Ver­drän­gung der Ver­bre­chen am arme­ni­schen Volk bei­getra­gen hat, ist in der Pflicht, sich der eige­nen Ver­ant­wor­tung zu stellen.“ 

(PM/​ LS)

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