(Rio de Janeiro) Die sogenannte Befreiungstheologie, die einmal die Brüder Boff einte, trennt sie nun. Ein Bruder ist zu ihrem grundlegenden Kritiker geworden und hat sich der Position des Papstes angeschlossen, der noch als Leiter der Glaubenskongregation eine Verurteilung ausgesprochen hatte. Der andere Bruder verteidigt sie weiterhin und fühlt sich verraten.
Der erste Schlag erfolgte vor einigen Monaten mit einem Beitrag, den Clodovis Boff in einer theologischen Zeitschrift Brasiliens veröffentlichte. Der zweite Schlag war noch von größerer Wucht: Eine harte Replik darauf vom bekannteren Bruder Leonardo Boff. Die Wege der beiden Brüder haben sich nicht nur getrennt. Ihre Positionen befinden sich heute in direkter Konfrontation. Der Grund dafür ist genau das, was sie früher zusammenhielt: die Befreiungstheologie.
Der im Frühjahr in der Zeitschrift Revista Eclesiastica Brasileira (herausgegeben von den Franziskanern in Brasilien, die von 1972 bis 1986 von Leonardo Boff geleitet worden war) veröffentlichte Aufsatz, signalisierte den Bruch von Clodovis Boff mit der Befreiungstheologie, oder besser noch mit dem „grundlegenden Denkfehler“ auf dem diese seiner Meinung nach beruht.
Leonardo Boff hingegen hält weiterhin an derem Leitgedanken fest: „Da Gott arm Mensch geworden ist, ist der Arme das Maß aller Dinge“, wie er in seiner Ende Mai veröffentlichten Antwort auf seinen Bruder bekräftigte.
Leonardo Boff definiert sich heute als Theologus peregrinus ohne feste (geistliche) Bleibe. Ihm wurde 1983 durch die Glaubenskongregation die Lehrbefugnis an katholischen, theologischen Fakultäten entzogen. Er legte das franziskanische Ordenskleid ab und heiratete.
Clodovis Boff hingegen gehört nach wie vor dem Servitenorden an. Er lebt in Curitiba und unterrichtet an der dortigen Päpstlichen Universität. In den 80er Jahren hatte er seinen Lehrstuhl an der katholischen Universität von Rio de Janeiro verloren. Ebenso wurde ihm untersagt, am Marianum, der theologischen Fakultät seines Ordens in Rom zu unterrichten.
Aufschlußreich ist dazu, wie Leonardo Boff seinen Bruder in jenen Jahren schildert, als auch dieser ein entschiedener Vertreter der Befreiungstheologie war: „Er verbrachte die Hälfte des Jahres in den Basisgemeinden, bot dort Volkskurse an, fuhr die Flüsse auf und ab um die Regenwaldvölker zu besuchen und widmete die andere Hälfte des Jahres der Lehrtätigkeit an der Universität von Rio und dem Verfassen einer theoretischen Grundlage für die Befreiungstheologie.“
Heute hingegen, immer nach dem Urteil Leonardo Boffs, unterstütze er mit Leib und Seele, „mit naivem Optimismus und jugendlichem Enthusiasmus“, die von den lateinamerikanischen Bischöfen auf der Konferenz von Aparecida 2007 vorgegebene Linie, die von Papst Benedikt XVI. persönlich eröffnet worden war.
(CR/JF)